Nach(t)kritik
Wiederauferstanden
Veranstaltung: Ami & Wally Warning: Groove and Soul„Das ist heute was ganz Besonderes für mich, denn nach langer Zeit habe ich wieder die Kraft zu spielen – Danke, dass ihr heute hier seid, das gibt mir viel Kraft!“ Als Wally Warning zum Auftakt seines bosco-Konzerts mit Tochter Ami und Max Alberti diese Sätze ans Publikum richtet, stehen manchen seiner treuen Fans die Tränen in den Augen: Wally Warning, das Energiebündel von der Karibikinsel Aruba, dieser vor Kraft und Lebensfreude stets nur so strotzende Gute-Laune-Mensch, hat abgenommen, ist sichtlich von einer schweren Krankheit gezeichnet, die ihn längere Zeit völlig außer Gefecht gesetzt hat. „Es ist ein Wunder, dass er wieder auf eine Bühne gehen und spielen kann“, sagt eine Frau, die ihn schon lange kennt und seinen Genesungsprozess verfolgt hat. Sie ist extra für diesen Abend aus Allershausen hergekommen, um das zweite Konzert des „wiederauferstandenen“ Wally mitzuerleben. Daheim hat sie mit Warning schon Konzerte in Kirchen organisiert, denn der Mann ist in seiner tief im Christenglaube wurzelnden musikalischen Power besser als jede Predigt – er ist für seine Fangemeinde die personalisierte Hoffnung, dass sich auch in dunkelster Stunde letztlich alles zum Guten wenden wird: „Thank you, Jesus“ heißt prompt der allererste Song des Abends, Wallys ganz persönlicher Dank an höhere Instanzen dafür, dass er heute hier sein kann.
Warnings Tochter Ami, bei Live-Auftritten schon länger an seiner Seite und als Sängerin mit wundervoll herber Stimme längst ein Ereignis für sich, wird an diesem Abend noch viele Male mit ihrem Vater die Akustikgitarre und den E-Bass tauschen -je nachdem, wer die Leadvocals singt. Kommentar des „ausgeliehenen“ Jamaram-Schlagzeugers Max „Murksen“ Alberti, diesmal mit der Cachon als Dritter im Bunde dabei: „Wer weiß, wie oft die tauschen, kann was gewinnen. Wir wissen noch nicht, was.“ Wally hatte mit seinem großen Bekanntheitsgrad in den letzten Jahren der sehr begabten Tochter die ersten Konzert-Schritte ermöglicht - und Ami hatte gleich mit ihrer ersten CD "Part of me" aufhorchen lassen. Man konnte bei gemeinsamen Auftritten der beiden immer aufs Neue gespannt verfolgen, wie sich das musikalische Binnenverhältnis entwickeln, die Akzente verschieben würden: Wally, der große Entertainer, nahm sich dabei häufig spürbar zurück, und Ami wusste sich zu behaupten neben diesem strahlenden Giganten. Das Mädchen, das schon mit fünf Jahren vor Papas Bühne herumhopste, hat als Künstlerin ihren eigenen, unverwechselbaren Stil entwickelt. Sie singt Lieder, die von Selbstbefreiung erzählen, von Trennung, vom Ende kindlicher Illusionen („Fairytales“) – herb-dunkle, durchaus introvertierte und widersprüchliche Stimmungen, die sie über ihre selbstgeschriebenen Songs nach außen zu tragen lernte.
Beim Bosco-Abend wechseln sich Ami und Wally mit ihren Liedern ab, einige gehören durch die gemeinsame Interpretation inzwischen beiden, auch wenn sie bis zu Wallys erster Platte „Promises“ von 1980 zurückreichen - die Songs sind gewissermaßen „mitgereift“, auch wenn sie noch immer die einfache und klare Botschaft transportieren, die schlicht „Liebe“ heißt. Vor dem Hintergrund von Wallys Erkrankung wird umso deutlicher, woher dieser Mann seine spirituelle Kraft nimmt: Aus einem tiefen Vertrauen in Gott und eine Art Bestimmung: „Ich war 50 Jahre nie krank, und jetzt so was Schweres - vielleicht muss das so sein“, sagt er zwischendurch nachdenklich. Und dann macht er einfach weiter mit seiner Message: Singt „The foundation must be strong“, was besagen soll, dass die Kinder eine gute Grundlage von ihren Eltern kriegen müssen, damit sie stark werden im Leben – Songzeile: „The youth is the future of the nation“ - die Jugend ist die Zukunft jedes Volkes. Viele von Wallys teils jahrzehntealten Liedern hören sich an diesem Abend wie ein Vermächtnis in eigener Sache an, das spüren vor allem die Fans der ersten Stunde. Doch Wally hat noch viel vor, spricht und singt von „Hope“, Hoffnung: Als er in einer Musikalienhandlung mal eine indische Juti-Box entdeckte, ein dreizehntöniges Holzharmonium, bei dem man die Akkorde einstellen kann und das eigentlich für Yoga gedacht ist, sagte er sich sofort: „Genau mein Ding!“ und verfremdete seine Songs noch mal ganz neu. Aber auch Ami steht dem Papa bei derlei Wagnissen nicht nach: Aus Bill Withers´ Klassiker “Ain´t no sunshine when she´s gone“ machte sie eine der aufregendsten Neu-Interpretationen der jüngsten Zeit. „Groove & Soul“ - der Titel des „Familien-Konzerts“ war absolut zutreffend.
Doch Wally wäre nicht der schier unverwüstliche Wally, wenn er nicht als dritte Zugabe noch „No monkey can´t stop my song“ bringen würde – jene unwiderstehliche Nummer mit dem Karibik-Feeling, die das Zeug dazu gehabt hätte, einen Eurovision Song Contest im Handstreich abzuräumen. Sie erzählt davon, warum Wally nicht unbedingt materieller Reichtum bestimmt war, sondern vielmehr seelischer. Der Song ist einfach Wallys Leben. Standing Ovations im bosco für einen großen Menschen.
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.