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Nach(t)kritik

Do, 28.04.2016
20.00 Uhr

Wissen, wie die Leute so sind

Veranstaltung: Horst Evers: Hinterher hat man’s meist vorher gewusst

An diesem Abend war es anders: es wird vermutlich keinen im Publikum gegeben haben, der mit Fug und Recht beim Verlassen des bosco von sich hätte behaupten können, er habe dies vorher und zwar ganz genau so gewusst, dass es so sein würde - nein, hier ist mal das Futur Zwei angebracht: dass es so gewesen sein würde. Gesetzt den Fall, jemand hätte nach dem Abend mit Horst Evers diese Behauptung in den Nachthimmel über Gauting geschickt, so hätte er - oder sie, warum nicht auch sie - auch gleich zugeben müssen, einer von diesen Leuten zu sein. Einer von denen, über die man weiß, wie sie sind, die Leute. „Du weißt ja, wie die Leute so sind“, ist einer der Kernsätze im Programm des Berliner Autors und Kabarettisten, und mit diesem Satz entlarvt er sowohl den Sprecher als auch den Gemeinten.

Doch von vorn: „Hinterher hat man´s meist vorher gewusst“, ist der Titel des aktuellen Programms, mit dem Horst Evers gerade durch die Lande tourt und das er auch in Gauting vorstellte. Es geht um jene Zeitgenossen, die gar nicht so selten vorkommen und die nach jedem überraschenden Ereignis mit der Aussage überraschen, dass sie das schon gewusst hätten: dass es so kommen würde. Ob die Fußballniederlage, das verrückte Wetter oder die Höhe der Hoeneßschen Steuerschulden: es gibt immer viele Anwesende am Stamm- oder einem anderen Tisch, die das alles überhaupt nicht überrascht. Ihnen widmet Horst Evers sein Programm, und dass er darin niemanden bloßstellt, sondern jedes Objekt seines feinen satirischen Spottes mit einem fast liebevollen Schulterstupser bedenkt, macht den besonderen Charakter dieses Abends aus.

Hier ist ein Sprachkünstler am Werk, der seine wohlgefeilten Sätze wie aus dem Moment heraus entstanden präsentiert, in einer fast alltäglich klingenden Dialogsprache, die einer klugen, weil auf die Überraschung setzenden Dramaturgie folgt und mit dieser den Titel ad absurdum führt: das kann so keiner vorher gewusst haben. Dass eine Geschichte über eine bildschöne Polizistin und die ob dieses Anblicks versehentlich bei Rot überfahrene Ampel mit einen Schlenker über Bauchredner schließlich bei Anti-Allergiemittel und einer Wette unter Kollegen enden würde. Dass die wohl witzigste Story über den ansonsten unter Kabarettisten schon arg überstrapazierten Berliner Flughafen und seine Baupannen bei den Pyramiden und einem attraktiven Friedhof enden würde. Von Dramaturgie versteht Horst Evers etwas, und eigentlich würde er auch gern alle einfach so en passant geschehenden Alltagsbegebenheiten dramaturgisch sinnvoller aufbauen, „dann lassen sie sich auch besser merken“, doch keiner seiner Freund und Bekannten möchte diese Geschichten noch einmal von vorne durchleben. Und so gibt es einfach sehr viel „sinnloses Vor-Sich-Hinpassieren“. Zum Glück gibt es aber eben auch Horst Evers, der dieses Vor-Sich-Hinkassieren schreibend ordnet und dabei dramaturgisch aufbereitet. Und so ist vielleicht nicht alles realistisch, was er da erzählt, aber auf jeden Fall wahr. Denn es muss einer schon lange feilen, bis aus der Wirklichkeit Wahrheit wird. 

Das beste und schönste Beispiel hierfür ist, wie er auf seinen Merchandising-Tisch hinweist: er habe sich lange Gedanken darüber gemacht, dem Bedürfnis des Publikums nach Nachhaltigkeit gerecht zu werden und sein dabei auf eine uralte Technologie gestoßen: das Buch. „Klar, die Technologie mag veraltet erscheinen“, erklärt er, „aber die Funktionsweise hat mich einfach überzeugt: man macht es auf, und der Text baut sich direkt auf, ganz ohne Wartezeit, und die Akkulaufzeit ist ein einziger Traum.“ Was für eine Laudatio auf das Buch! Was für ein Abend - nicht vorher zu wissen, auch hinterher nicht.

Sabine Zaplin, 28.04.2016


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Do, 28.04.2016 | © Copyright Werner Gruban, Theaterforum Gauting