Nach(t)kritik
"Wo wir spielen, entstehen Arbeitsplätze!"
Veranstaltung: The Sazerac Swingers: New Orleans Music ShowDer Weg von Gütersloh nach Gauting ist weit. Elf Stunden Autobahn liegen hinter den „Sazerac Swingers“, als sie die Bühne des bosco kurz vor knapp erreichen. Doch Dank Ton-Mann Markus werden alle sechs Mann noch rechtzeitig verkabelt und soundmäßig eingerichtet, so dass sie loslegen können, als wäre nichts geschehen - und das machen sie dann auch: Ohne jede Vorwarnung stürzt sich Trompeter Christian Altehülshorst in eine Nummer mit der Zeile „Till the day I die“, pustet rotzig die Luft durch sein Instrument, als wolle er sich erst mal frei blasen vom quälenden Stau des Tages. Band-Sprecher Max Oestersötebier stellt sich dazu als „Peter Horton“ vor und verspricht dem Publikum eine „New Orleans Party“, das kann ja heiter werden. Die Swingers leiten ihren Namen vom offiziellen Drink der Stadt New Orleans ab, dem „Sazerac Cocktail“ - dies sollte nochmals erwähnt werden, falls man vielleicht nicht sofort mit den doppel-bödigen Zwischenansagen von Max klar kommt: „Wir mussten Tobias Link rausschmeißen wegen Disziplinlosigkeit“, kündigt der Chef den Posaunisten an, und Tobias antwortet bei den ersten Stücken ziemlich diszipliniert mit einigen komplexen Soli. Der Charme dieser Formation ist ein Schuss Anarchie zwischen den Noten, eine Prise Verlorenheit auf dem Weg von Gütersloh in den Rest der Welt. Den Planeten erobern sich die „Sazerac Swingers“ vor allem mit der unbändigen Energie, die ihre beiden Bläser entfachen. Man mag sich zum Beispiel gar nicht vorstellen, dass Christian eine Art „Ausstiegsklausel“ wie ein unbezahlbar guter Fußballer hätte – die „Swingers“ wären kaum denkbar ohne diesen lockenköpfigen Feingeist, der von „zart“ bis „Blutgrätsche“ alle Spielarten kennt.
Alterhülshorst guckt nach seinen technisch exzellenten Beiträgen jedesmal ins Publikum, als wolle er sagen: Hab ich euch´s wieder besorgt! Und die Leute nehmen ihm das auch nicht krumm, denn sie spüren, dass da einer der Allerbesten seines Fachs am Werk ist. Optische Ablenkung bietet dazu Kontrabassist Roger Clarke-Johnson aus Cornwall, der seinen Part sehr mannschaftsdienlich versieht, aber den Eindruck macht, als wäre er ein zypriotischer Philosoph, der sich nur mal eben was dazu verdienen muss. „Max“, der charmante Lästerer (Wo wir spielen, entstehen Arbeitsplätze"), wird später über den grau-silbrigen Band-Senior sagen: „Der einzige von uns, der schon erwachsen war, als der Jazz erfunden wurde.“ Sanfter geht der Boss selbstredend mit der kanadischen Gast-Sängerin Emily Rault um, die an diesem Abend eine recht kernige Stimmlage mitbringt. Typische Songs wie „Do you know what it means to miss New Orleans“ meistert sie ebenso kraftvoll wie sie später mit der passenden Dirtbag-Attitüde „Why don´t you do it?“ vorträgt. Die erst 2013 gegründeten „Sazerac Swingers“ bringen den New-Orleans-Sound wunderbar frisch über die Rampe, gegenüber den alten Vorbildern wie Banjo-Legende Danny Barker leicht beschleunigt, aber immer noch mit Respekt vor dieser Tradition – Max Oestersötebier an der Gitarre ist auch noch ein Sänger von einiger Geschmeidigkeit, und Schlagzeuger Georg Kirschner bildet dazu das perkus-sive Rückgrat des sympathischen Haufens, der mit Zydeco, Latin und Funk gleichzeitig zu flirten scheint.
Man ist eben auch musikalisch irgendwie unterwegs. Max bringt zwischendurch mal eine Anekdote vom Allgäuer Jazzfestval in Kempten: Damals hieß es, dass es im örtlichen Kulturhaus nach dem eigentlichen Auftritt noch eine Jam Session geben solle. Die „Sazerac Swingers“ fanden eine vermeintlich leere Bühne vor, wo aber noch Instrumente bereit standen, und spielten und spielten - „bis wir gemerkt haben, dass die andere Band nur Pause gemacht hatte...“ Und Veranstalter gebe es, sagt Max zu Beginn ihrer Kreuz-und-quer-durch-Deutschland-Tour, „dagegen sind wir die Normalen!“ Die Aura der gestrandeten Opfer werden die „Swingers“ an diesem Gautinger Abend und elf Stunden Autobahn nicht mehr so ganz los, aber zum eingangs versprochenen New-Orleans-Party-Finale raffen sie sich am Ende doch noch auf. Auch wenn es am nächsten Morgen wie im Song heißen dürfte: „What did I do last night?“ Thomas Lochte
CD: „The Sazerac Swingers Live“
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.