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Nach(t)kritik

Sa, 13.02.2016

Zeitreise in die Wirtschaftswunderjahre

Veranstaltung: Sammeln macht glücklich: Hermann Geiger und die 50er Jahre

Man braucht nur den Kopf durch das Fenster in das feuerrote Goggomobil stecken. Flash.  Zeitreise. So haben Autos früher gerochen. Aber das ist erst der Anfang. Man betritt den Ausstellungsraum. Flash. Wie bitte kommt die Frisierkommode aus dem Schlafzimmer der eigenen Großmutter ins bosco? Für einen klitzekleinen Augenblick sieht man sie, wie sie in dem dreiteiligen Klappspiegel ihre Frisur begutachtet. Und natürlich steht da auch ihr Fläschchen mit Kölnisch Wasser auf der Glasplatte. Und die übrigen Schönheitsutensilien.
Dann in der Küche die Schranktüren in Pastellfarben. Die drei Schubfächer für Zucker, Mehl und Salz. Auf dem Tisch der trichterförmige Messbecher von Dr. Oetker. In einer Ecke der mechanische Teppichkehrer und an einem Haken die geblümte Kittelschürze. Wahrscheinlich gerade Frühjahrsputz. An der Wand die schnittig geformte Küchenuhr mit der eingebauten Eieruhr. Auf dem Herd der ebenfalls schnittig geformte Wasserkessel. Flash. Spargelröllchen. Russische Eier. Fliegenpilze.
Im Wohnzimmer stehen auf dem schnittigen Nierentisch schon die Likörgläschen und hinter Glas die Flaschen mit Dornkaat und Eierlikör. Salzstangen in einer Glasschale. Die Glasschale auf einem Spitzendeckchen. Ein weiteres Spitzendeckchen auf dem Radio und noch eins auf dem Fernsehschrank. In einer Ecke auf dem Blumenständer das Usambaraveilchen und in einer Ampel die Grünlilie. Auf dem Wohnzimmerschrank ein Bowle-Set und eine tickende Uhr. Im Schrank das gute Geschirr. Und dazu die Musik von Heidi Brühl, Vicco Torriani und Gus Backus. Als wären die Bewohner dieses Zimmers nur für einen Moment hinausgegangen, um den Ausstellungsbesuchern Platz zu machen. Als dann oben bei der Eröffnung tatsächlich der echte Gus Backus in der ersten Reihe saß und fröhlich winkte – da war das nur noch die letzte rasante Kurve einer unglaublichen Zeitreise. 
Möglich gemacht wurde das alles durch Hermann Geiger aus Unterbrunn. Der passionierte Sammler zeigt im bosco „ein Promill seiner Schätze“, so Hans Georg Krause bei der Eröffnung der Ausstellung „Sammeln macht glücklich“ am Samstagnachmittag. Die Auswahl beschränkt sich auf Alltagsdinge aus den Fünfziger und Sechziger Jahren – von Autos über Möbel und Spielsachen bis hin zu Zeitschriften und Zeitungen, Warenkatalogen, Plakaten, sogar alten Rechnungen. Wobei natürlich „beschränkt“ angesichts einer schier unglaublichen Fülle nicht das richtige Wort ist. Rosemarie Zacher und Sybille Sommer haben für Geiger die Zeitreise-Wohnung im bosco eingerichtet und die übrigen Exponate in Vitrinen im ersten Stock arrangiert. Zur Ausstellungseröffnung waren gleich mehrere Generationen von Gautingern gekommen. Die einen mögen sich an ihre eigene Jugend erinnert haben, die anderen daran, wie Eltern oder Großeltern gewohnt haben. Und die ganz jungen werden wohl keine Ahnung gehabt haben, wer Lurchi, Mecki und die echten alten Mainzelmännchen waren.
Wer in dieser wunderbaren Wirtschaftswunderwelt immer noch nicht von der Welle der Nostalgie erfasst worden war, für den gab es am Eröffnungstag stilecht Marmorkuchen, Obstschnitte mit Banane und Käse-Sahnetorte. Und dann noch einen bezaubernden Werbefilm aus den Fünfzigern. Hans Georg Krause aber hielt die Ausstellungseröffnung für den richtigen Moment, um sich für Gauting einen Ausstellungsraum zu wünschen: „Allein für Hermann Geiger bräuchten wir einen.“

Katja Sebald, 13.02.2016


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Sa, 13.02.2016 | © Copyright Werner Gruban / Hans-Georg Krause