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Nach(t)kritik

Mi, 26.10.2016
20.00 Uhr

Zurück in die Zukunft

Veranstaltung: Organ Explosion & Florian Riedl: Die Vintage Krassomaten

An diesem bosco-Abend schienen sich alle im Publikum irgendwie jünger zu fühlen, und eine geradezu beschwingte Grundstimmung hatte die Leute bereits zur Pause erfasst –  das lag unzweifelhaft an  dem, was sie da zu hören bekamen: Retro-Sound aus den sechziger und siebziger Jahren, serviert mit den technischen Mitteln jener Zeit und doch einigermaßen futuristisch. „Schuld“ daran war eine Formation mit dem furchteinflößenden Namen „Organ Explosion“, die bereits zum zweiten Mal die heiligen Gautinger Hallen unsicher machte und dieser Tage völlig zu Recht den Feldafinger „Jazz-am-See-Award“ für innovative Performance zugesprochen bekam. Hans Enzensperger (Hammond-Orgel, sämtliche Keyboards und Synthesizer), Ludwig Klöckner (E-Bass) und Manfred Mildenberger (Drums), die Stammformation der „Orgelsprengmeister“, hatten sich den Saxophonisten Flo Riedel als Verstärkung dazu geholt, und so begann ein Konzert, das die Knie wippen und die Erinnerungen fliegen ließ.
Für optische Ablenkung vom hoch spannenden Sound-Geschehen sorgte zusätzlich die „Leslie Box“ im Rücken des Keyboarders Enzensperger: Ein wie ein Luftkühlsystem aussehender, immer wieder kreiselnder Rotationslautsprecher zur elektrotechnischen Klangdoppelung musikalischer Tonsignale. Das Effektgerät – und hier sind wir schon im Reich der Physik – löst durch die Rotationen eine Art „schwebende“ Akustik aus. Enzensperger arbeitete hinter seinem gewiss Tonnen wiegenden Orgel-Turm also wie jemand, der mit einer Stange Dynamit gleich eine über die Brücke fahrende Dampflok in die Luft sprengt – und so darf man sich auch die lauernde Explosivität und Struktur der meisten „Organ“-Stücke vorstellen: Allmählicher Energieaufbau der einzelnen Instrumente, Fusion dieser Elemente, Blow - und anschließend herabsinkende Trümmerteilchen. Gegenüber früheren Auftritten und zur neuen CD haben die drei Organiker offenbar noch ein bisschen besser zusammengefunden, es groovt jedenfalls vom ersten Moment an und mit „saftigem“ Bass schier unaufhaltsam einem Ziel entgegen, und das alles auf traditioneller Basis: Besonders zauberhaft bereiten die Musiker den Klassiker „Apache“ aus dem Jahr 1960 auf, eine Komposition von Jerry Lordan, die durch die „Shadows“ berühmt und angeblich von einem Western mit Burt Lancaster und Charles Bronson inspiriert wurde: Schlagzeugmäßig nachempfundenes Pferdegetrappel und zwischendurch sogar Indianergeheul (Mildenberger) lösen bei jenen, die alt genug dazu sind, sofort Assoziationen an die deutschen Western-Sehnsüchte jener Zeit aus, als sogar ein Freddy Quinn Cowboy-Hut trug und anscheinend jeder zweite Song am Lagerfeuer gesungen wurde.
Der Name „Organ Explosion“ führt also auch ein wenig in die Irre, denn die pure Kraftentfaltung mit elektronischen Mitteln allein ist es nicht, die den betörenden Crossover-Charme dieser Gruppe ausmacht - es ist vielmehr die Gabe, etwas musikalisch zu zitieren (und seien es nur drei Akkorde „Mozart“ bei der Zugabe) und zugleich etwas Neues daraus zu machen, um nicht mit dem Western-artigen Song zu sagen: „drauf zu satteln“. Der Spiel- und Experimentierfreude sind dabei keine Grenzen gesetzt, und „Special guest“ Florian Riedel wird dabei locker eingemeindet. Auch die selbst komponierten Stücke entfachen dabei zuverlässig etwas, das man als „Atmosphäre“ bezeichnen könnte: „Italian Mafia“ von Manfred Mildenberger gelingt sogar beides – Eigenkreation und Hommage an die musikalischen Gangster-Motive der „Pink Panther“-Filme. Die phantastische Zugabe, eine Cover-Version von „Groovin´ On A Sunday Afternoon“ (The Rascals, 1967), lässt einen dann noch an einen sommerlichen Tanzabend in den Sechzigern auf einer italienischen Hotel-Terrasse denken, der plötzlich vollkommen aus dem Ruder läuft und zu wildem Funk überspringt - bis der Hoteldirektor reinschaut und die Musiker schlagartig wieder zu sanft dahin plätschernder Schieber-Musik zurückkehren, als wäre nichts gewesen...Tosender Applaus für eine Retro-Band, der die Zukunft gehört.

Thomas Lochte, 27.10.2016


Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.
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Mi, 26.10.2016 | © Copyright Werner Gruban, Theaterforum Gauting