Nach(t)kritik
Löwenpflege
Veranstaltung: Mario Rom's INTERZONE: Eternal FictionSie schaut aus wie eine vergoldete Wies´n-Brezn und klingt zuweilen geradezu schüchtern und tastend, dann wieder aufsässig und energiegeladen - je nachdem, was ihr Gebieter Mario Rom mit seiner Trompete vorhat. Und man weiß nie so genau, was als nächstes passiert: Beim Gastspiel von „Mario Rom´s Interzone“ im bosco kommen die Zuhörer bald nicht mehr heraus aus dem Staunen über dieses chamäleonhafte Instrument, das wie ein wundersames Füllhorn immer neue Facetten offenbart. „Eternal Fiction“ haben die Österreicher, bekennende „Twin Peaks“-Fans, ihre neueste Produktion getauft, und wenn man diesen Titel deuten will, landet man bei ewiger schöpferischer Neuerfindung. Oder bei einer tiefgründigen Betrachtung über Scheinwelten: „Je wohler wir uns fühlen, desto mehr artet´s aus“, sagt Kontrabassist Lukas Kranzelbinder zwischendurch fast entschuldigend. Gerade haben Lukas, Mario und der hoch dynamische Drummer Herbert Pirker so etwas wie eine Tour de Force hingelegt, die mit „Pleasure As Relief“ beginnt – Kranzelbinder bezeichnet es als „geschwungenes Stück“ - und mit „Everything´s Permitted“ endet, Stücken von verschiedenen Alben aus gut elf Jahren Bandgeschichte. Unterwegs haben die Drei jedenfalls keine Gefangenen gemacht: 15 Minuten Spannung pur, knallharte Schlagzeug-Episoden, saftige Bässe, die leichtfüßige Trompete bzw. ihr „Meister“ stilistisch auf mehreren Kontinenten wildernd. Es gibt, kleine Verschnaufpause, auch immer wieder ein Innehalten, ein Abtauchen zu Tönen, die sich wie Walgesänge anhören – der Bass strukturierend wie eine Kirchturmuhr, die Drums allzeit entzündlich - Schwitz!
„Seit Anbeginn der Zeit ist es so, dass der Boss niemals spricht“, verrät Lukas Kranzelbinder dem Publikum, warum der Bass und nicht der Boss Mario die Stücke ansagt. Offenbar ist Lukas derjenige mit dem rechten Schmäh, den es braucht, um die Dinge zwischen all den Exzessen ein wenig aufzulockern – und zu erläutern, was es mit einem Songtitel wie „Lion Care“ auf sich haben könnte: Löwenpflege. Man stellt sich unwillkürlich vor, wie Mario Rom einem Leu tremolierend die Mähne trocken pustet. Doch der akustische Fön kann auch ganz anders, geht fast nie den technisch bequemen, sich melodiös anbietenden Weg, im Gegenteil: Wenn Rom sich mit dem Schlagzeug anlegt, fliegen minutenlang die Fetzen, während Kranzelbinder dem Begriff basso continuo ganz neue Bedeutungsebenen erschließt. Stoisch, zuverlässig, notfalls aber zu allen Tempoläufen bereit. Drummer Herbert Pirker haut es einmal beinahe von seinem Hocker vor lauter Intensität: Er kann loslegen wie ein Fleisch gewordener 100-Meter-Startschuss, hat aber auch den „anzüglichen“ Beat einer Striptease-Nummer in seinem Repertoire. Und stets Spaß dabei. Die ganze Bandbreite der „Interzone“-Möglichkeiten bündelt sich dann in dem Stück „Matala“, benannt nach einem Ort auf Kreta, den angeblich schon Joni Mitchell besungen hat – setzt ein wie eine R & B-Nummer, jazzt sich dann zu schrillen Höhen empor, findet schließlich zu einem „unbeirrbarem Rhythmus“, wie Kranzelbinder es umschreibt. „Wir möchten gerne unterschiedliche Gefühlsregungen erzeugen“, sagt der Bass in aller Unschuld hinterher, während der Boss natürlich schweigt. Ja, niemand ist eine Insel.
Die Zuhörer folgen dem „Interzone“-Kosmos fast zweieinhalb Stunden lang sehr konzentriert, lassen auch die stillen Momente innerhalb der Stücke zur Wirkung kommen. Die Musiker, die schon auf großen Festivals in aller Welt gespielt haben, spüren ihrerseits diese intime Qualität und Wertschätzung, bedanken sich sogar ausdrücklich dafür. Als Zugabe dann noch „Blue Velvet“, die einzige Fremdkomposition des Abends – unheimlich samtig, so wie es sein soll. Tosender Applaus. Kommt bald wieder und bringt die goldene Brez´n mit!
Direkt nach der Veranstaltung schreiben professionelle Kulturjournalist*innen eine unabhängige Kritik zu jeder Veranstaltung des Theaterforums. Diese Kritik enthält dabei ausschließlich die Meinung der Autor*innen.