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Presse

„Eine Zeit ist es schön, dann ist es vorbei“

Erschienen in:   Starnberger Merkur

Die Ausstellung „Mausefallen für Dich – Zigarren für die Welt“ ist seit Sonntag Geschichte. Fast 3000 Besucher wollten sie sehen. Am letzten Wochenende führte Sammler Hermann Geiger noch einmal Dutzende von Besuchern durch das Bosco und erläuterte die Exponate.

Lange hat Hermann Geiger vom „Tag X“ geträumt. Dem Tag, an dem er alles der Öffentlichkeit zeigen kann, was er im Laufe der vergangenen Jahrzehnte gesammelt hat. Jetzt war er da. Genau genommen waren es sogar zehn Tage X, so lange dauerte die Ausstellung „Mausefallen für Dich – Zigarren für die Welt“, die die Ära des industriellen Gauting etwa zwischen 1870 und 1970 erlebbar machte. Am Wochenende führte Geiger noch einmal Dutzende von Besuchern durch die Ausstellung – und erzählte launig die Geschichten hinter den Geschichten. Denn zu jedem Exponat gibt es eine.

Zum Beispiel die von der Glühbirne, die die Aufschrift „Gestohlen bei Webasto Stockdorf“. Was hatte es damit auf sich? Nun, Geiger, der aus einem landwirtschaftlichen Betrieb in Unterbrunn stammt, hat ihn in seiner Lehrzeit bei Webasto eigenhändig angebracht. „Ich wusste nicht genau, was ich werden sollte, und gegen Elektriker hatte ich nichts einzuwenden.“ Beim Einstellungsgespräch habe es nur geheißen: „Das passt schon, der kommt aus der Landwirtschaft.“ Mit dem Schriftzug sollte die Glühbirne als Diebesgut kenntlich gemacht werden. Außerdem erinnerte er sich daran, dass in den 1970er Jahren viele Gastarbeiter an den schweren Geräten gearbeitet hätten – ohne so etwas wie Gehörschutz. „Das gab es damals noch nicht. Obwohl es in ganz Stockdorf gescheppert hat.“

Apropos Landwirtschaft: Aus seinem heimischen Betrieb brachte der Unterbrunner allerhand mit ein, etwa die Melkmaschinen, von denen die Geigers zu Hause zwei Stück hatten. Bei älteren Kühen sei es kein Problem gewesen, sie händisch am Euter anzubringen. Aber wenn ein junges Tier nervös wurde, konnte es schon passieren, dass der Melker mehr oder weniger quer durch den Stall flog – und dabei die gute Milch verschüttet wurde.

Wer heute an Landwirtschaft denkt, denkt gleich an Bulldogs. Geiger aber hat noch die Zeit davor erlebt. „Wir haben bis 1956 Ochsen gehabt, erst dann kam der Bulldog“, erinnerte er sich bei seiner Führung. Wenn einer 25 PS hatte, war das in Gauting und Umgebung schon einen Sensation.

Auch so manche Spitze gegen die Gautinger hatte der Unterbrunner parat. Etwa, als er erzählte, dass laut historischen Dokumenten 1887 die Polizei von Unterbrunn nach Gauting verlegt werden sollte, mit dem Argument, dass in den dortigen Fabriken wertvolles Metall gestanzt wird. „Ihr Gautinger habt’s ja außer der Würm nix gehabt, nicht einmal eine Polizeistation“, scherzte er. Da schallte es aus dem Publikum zurück: „Ihr werdet die Polizei schon gebraucht haben.“ Großes Gelächter.

Besonders stolz war der Sammler über das Eingangstor der ehemaligen Grundschule, die er vor dem Abbruch gerettet hat. Der Vorgängerbau des heutigen KARLS war anfangs ein Hotel, weil nach dem Fund einer Schwefelquelle 1872 der Gastronom Georg Hiltl die Idee hatte, gleich neben dem Bahnhof eine großes Etablissement zu errichten. Doch die Quelle versiegte, der Hotelbetrieb wurde eingestellt. Es folgte – in der Reihenfolge der Nutzung – eine Elektrofirma, eine Zigarrenfabrik und dann eben die Grundschule. Durch die Tür blickten die Besucher auf ein großes Foto vom Festsaal des Hotels. Das Geschirr, das auf dem Tisch stand, war Original. „Das habe ich im Internet gefunden, die Oma von der Eigentümerin hatte dort noch in der Küche gearbeitet und wollte es loswerden.“

Die Rercherche hörte übrigens während der Ausstellung keineswegs auf. Ausgelöst von der Berichterstattung unserer Zeitung, meldete sich eine Frau bei Geiger, die einen uralten Artikel über die Fabrik aus der „Deutschen Tabakzeitung“ aufbewahrt hatte. Dort heißt es unter anderem, dass ein Filmteam – offenbar dasselbe, das den Stummfilm „Der Untergang Trojas“ in Schlagenhofen drehte – Aufnahmen angefertigt hätte. „Wenn ich einmal Zeit habe, frage ich in den Bavaria-Filmstudios nach“, sagte Geiger. „Vielleicht liegt es ja noch irgendwo.“

Besondere Aufmerksamkeit wurde bei der Führung der Fahne des Würmtaler Arbeiter-Krankenunterstützungsvereins zuteil. Genau genommen, hingen gleich zwei von der Decke im großen Saal, die dunkelgrüne ältere (aus dem Besitz Geigers) und die beigefarbene jüngere (aus dem Besitz der Gemeinde). Auffallend: In der Mitte der alten klaffte ein Loch, und Geiger konnte auch erklären, warum: „Das haben sie halt ausgeschnitten und in die neue eingenäht.“ Das Motiv zeigt einen Handschlag – Ausdruck für die Arbeitersolidarität. Der Verein wurde aufgelöst, als sein zentrales Anliegen Anfang der 1970er-Jahre erfüllt war: die sechswöchige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Gestern, Montag, mussten Geiger und seine Helfer die Ausstellung wieder abbauen, schon am Mittwoch steht im Bosco eine Veranstaltung an. Das Bedauern über das Ende ist groß, viele klagen über die kurze Dauer. Nur Geiger nahm es mit Humor: „Das ist wie beim Christo, der den Reichstag in Berlin eingepackt hat“, sagt er. „Das ist eine Zeit lang schön, und dann ist es halt vorbei.“ Alle, die die Ausstellung nicht gesehen haben, müssen auf den Ausstellungskatalog hoffen. Zur Zeit wird geprüft, ob die Spenden reichen.

16.04.2024, Volker Ufertinger