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Presse

 

Inspiriert von der Haerlinschen Papierfabrik

Erschienen in:   Starnberger Merkur

Die Haerlinsche Papierfabrik war einst der größte Arbeitgeber in Gauting. Das motivierte die Schule der Fantasie, im Rahmen der Ausstellung „Mausefallen für Dich – Zigarren für die Welt“, einen Papierworkshop zu veranstalten.

In der ausgebuchten Buchbinde-Werkstatt der Schule der Fantasie im Bosco falzten, schnitten, nähten und klebten am Sonntagnachmittag zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer ab zehn Jahren aus Papierresten wie ausgedienten Landkarten ihre individuellen Notizbüchlein. Die im aktuellen „Museum auf Zeit“ gezeigten Maschinen und Schwarz-Weiß-Fotografien der Haerlinschen Papierfabrik Gauting, einst größter Arbeitgeber am Ort, hatten die beiden Lehrmeisterinnen Josephine Zacher und Carlotta Linke zum Workshop animiert.

„Wir kennen uns noch aus der Schule“, erzählt Kommunikationsdesign-Studentin Josephine Zacher (21). Mit ihrer gleichaltrigen Freundin Carlotta Linke, die aktuell in Oberammergau eine Holzbildhauerlehre absolviert, hat sie bereits mehrere Buchbinde-Werkstätten für Kinder geleitet. „Die jungen Studentinnen machen das besser als wir“, ergänzt ihre anwesende Mutter, die Künstlerin Rosemarie Zacher. Mit Grafikdesignerin Sibylle Sommer leitet die Illustratorin und Museumspädagogin bekanntlich die Schule der Fantasie in Gauting.

Carlotta Linke – übrigens eine Ururenkelin des Gründers der in Bild und Ton erlebbaren Mafaga (Maschinenfabrik Gauting) – erläutert den Teilnehmern genau die Bindetechniken mit Zuschneiden, Tackern, Nähen oder Fadenbindung. Mit dem Fingernagel oder Brieföffner – einst aus Elfenbein – schafft man den perfekten Falz. Im ersten Schritt entsteht so das Innenheftchen, im zweiten folgt der Einband aus Pappe, wahlweise mit Schmucknähten. Christine Denzel ist mit ihren drei Enkelkindern eigens von Großhadern zum Buchbindeworkshop gekommen. Denn Franziska (12) ist Schauspielerin im Theaterjugendclub des Bosco und hat so von der Werkstatt erfahren.

Millie (11) ist als Erste mit ihrem Büchlein fertig: Stolz präsentiert die Gautingerin ihr selbst genähtes Heft mit himmelblauem Pappeinband: „Da male und schreibe ich rein“, sagt sie. Rainer Fuchs, Historiker und pensionierter Journalist aus Gauting, arbeitet derweil noch mit Hingabe an einem Heftchen mit sonnengelb strahlendem Papier für „spontane Einfälle oder für kreative Ideen und Träume“. Als begeisterter Papiersammler sei er sogar im Besitz von Original-Briefbögen aus der Haerlinschen Papierfabrik, verrät er.

Und da schließt sich der Kreis: Die Gautinger Papierfabrik Haerlin & Söhne, 1878 gegründet von dem aus Ellwangen zugewanderten Dr. Julius Haerlin, war „größter Arbeitgeber im Ort“, schreibt Bosco-Gründer Hans-Georg Krause im Begleittext zur aktuellen Ausstellung „Museum auf Zeit“. Nach dem Bau der Eisenbahnlinie fanden 100 bis 150 Menschen in der Papierfabrik einen gesicherten Arbeitsplatz – dank der Wasserkraft der Würm. „Aus Rentabilitätsgründen wurde der Betrieb 1967 eingestellt, die Papierfabrik abgebrochen.“

Von Gautings ruhmreichen Zeiten als Industriestandort zeugt heute nur noch das mächtige historische Wasserrad am Lederersteg. Es ist auch Bestandteil des Gautinger Wappens.

09.04.2024, Christine Cless-Wesle