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Presse

Kartoffeln klauben, Zwangsarbeit und ein Ferienjob

Erschienen in:   Starnberger Merkur

Altbürgermeister Knobloch reichert Führung durch Ausstellung „Mausefallen für Dich“ mit eigenen Erinnerungen an.

Im nur noch bis Sonntag aufgebauten Museum auf Zeit hat Altbürgermeister Dr. Ekkehard Knobloch (83) am Mittwoch sehr lebendig von seinen persönlichen Erlebnissen im Gauting der Nachkriegszeit erzählt. 50 Bürger – darunter der Kirchenchor „Chorallen“ – lauschten bei der Exklusiv-Führung gebannt. Er ging der Frage nach: „Wie haben unsere Vorfahren ab 1850 gelebt?“

Die Ausstellung mit Originalstücken wie landwirtschaftlichen Maschinen der Mafaga (Maschinenfabrik Gauting) aus dem reichen Fundus des Unterbrunner Sammlers Hermann Geiger vermittle auch „Weltgeschichte“, so Knobloch. Aus genau diesem Grund bat er sein Publikum um Spenden, denn nur so könne vom „Museum auf Zeit“ auch ein Katalog finanziert werden.

1949 war Knobloch mit seinen drei Geschwistern und den Eltern als Kriegsflüchtlingskind aus Schlesien über Franken nach Gauting gekommen. In einem Behelfsheim im Badviertel sei die Familie damals untergekommen. Das sei nur möglich gewesen, weil ein Chefarzt im Zuge der damaligen Wohnungszwangsbewirtschaftung mit seiner kinderreichen Familie nach Franken gezogen sei. Bei dieser Gelegenheit stellte er auch klar: „Mit Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, bin ich nicht verwandt.“

Vor der historischen Karte von 1850 mit den rot markierten Mühlen an der Würm erzählte er von der ehemaligen Pulvermühle bei den heutigen Fischzucht-Quellen, wo es laut Kronprinz Rupprecht im nahen Schloss Leutstetten „laute Explosionen gab“. „Mühsam“ sei einst die Landwirtschaft mit Ochsengespannen auf den steinigen Böden Gautings gewesen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg waren Kartoffelklaubmaschinen auf dem Markt.

Mit Haushaltsgeräten und Mausefallen startete einst die Esslinger Firma Wilhelm Baier in Stockdorf an der Würm. Der heutige Weltkonzern Webasto arbeitete später auch mit 200 Zwangsarbeitern für die deutsche Rüstungsindustrie, so Knobloch. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe Baier aber als Erster in den Entschädigungsfonds einbezahlt. Mit dem ersten Corona-Fall in Deutschland habe Webasto nochmals Geschichte geschrieben. Die Apparatebau (AOA) Gauting, gegründet vom legendären „Ochsensepp“ Josef Müller, war „dank guter Verbindungen zu Franz Josef Strauß Zulieferer für den Starfighter, später für den zivilen Airbus“, so Knobloch.

Als Schüler habe er während der Sommerferien in der Papierfabrik von Julius Haerlin gearbeitet, für eine Mark und zwölf Pfennig in der Stunde, erzählte der Altbürgermeister. Angesichts des Originalhotelgeschirrs des Bahnhofshotels erinnerte er daran, dass 1949 – also zur Zeit seiner Ankunft in Gauting – das Bahnhofshotel von Koloniegründer Georg Hilt bereits zur Volksschule umgemodelt worden war. Kurze Zeit davor, in den 1930er-Jahren, arbeiteten im Bahnhofshotel noch 300 Frauen in der damaligen Austria-Tabakfabrik. „Ihr Nachwuchs wurde in der Kinderbewahranstalt von Mallersdorfer Schwestern an der Schlossstraße betreut“, so Knobloch weiter. Nach dem Krieg seien sie ins heutige katholische Kinderhaus an der Reismühler Straße umgesiedelt.

Im Original-Wohnzimmer des Gautinger Bahnhofsvorstehers Singer erinnerte der Altbürgermeister daran, dass die Eisenbahnlinie München- Garmisch mit Königlichem Bahnhof Feldafing 1908 vollends „doppelgleisig“ wurde, „Damals fuhren Fernzüge von Gauting mit dem einzigem Halt Pasing in 20 Minuten bis zum Hauptbahnhof.“ Das waren noch Zeiten.

12.04.2024, Volker Ufertinger