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Presse

 

Vielstimmiges Plädoyer für die Windkraft

Erschienen in:   Starnberger Merkur

Das Grünzug-Netzwerk hat am Mittwoch eine Reihe von Experten ins Bosco eingeladen. Ihre gemeinsame Überzeugung: Windkraftanlagen sind unverzichtbar, wenn es darum geht, dem Klimawandel zu begegnen.

Im Bosco war in den vergangenen Monaten schon häufig die Windkraft Thema. Im November vergangenen Jahres informierte die Gemeinde über ihre Pläne, Anlagen im Wald von Königswiesenund Buchendorf bauen zu wollen. Im April lud die örtliche Anti-Windkraft Bürgerinitiative zu einem Abend mit Gastredner Dr. Fritz Vahrenholt. Im Mai organsierte die Bürgeroffensive Zukunft Gauting ein Pro und Contra. Jetzt, am Mittwoch, versammelten das Grünzug-Netzwerk Würmtal und andere Veranstalter ausdrücklich Anhänger der Windkraft, um Überzeugungsarbeit zu leisten. Dr. Herbert Stepp vom Grünzug-Netzwerk empfing Prof. Michael Sterner, Dozent an der Technischen Hochschule Regensburg für Energiespeichersysteme und Autor des Spiegel-Bestseller-Buches „.So retten wir das Klima“, Ingenieur und Windkraftplaner Robert Sing, der Berger Bürgermeister Rupert Steigenberger sowie Simon Tangerding, Geschäftsführer der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald. Drei Stunden dauerte die Veranstaltung, die sich in zwei Teile gliederte, nämlich Impulsvorträge der Referenten vor der Pause und Fragen an die Experten nach der Pause. Das Bosco war zu etwa zwei Drittel gefüllt, die Atmosphäre sachlich. Beim Eintritt hörte man überraschenderweise Klaviermusik, Prof. Sterner spielte zur Begrüßung.

■ Das sagt das Grünzug-Netzwerk

Einleitend verdeutlichte Gastgeber Herbert Stepp, wie das Grünzug-Netzwerk zur Windkraft steht, nämlich zustimmend. „Windkraftanlagen sind Teil der Lösung“, sagte er. Das mag auf den ersten Blick überraschen, schließlich hat sich der Verein dem Erhalt der Wälder verschrieben. Aber: Der Wald steht durch den Klimawandel derart unter Stress, dass die Energiewende so schnell wie möglich umgesetzt werden sollte. „Ohne Zweifel stellen Windkraftanlagen einen Eingriff dar. Aber ohne Klimaschutz ist aller Naturschutz wertlos“, so Stepp. Auch ein weiteres Anliegen des Vereins, die Sicherstellung der Frischluftzufuhr im Großraum München, steht nicht im Widerspruch dazu. „Der kühle Luftstrom gleitet unter den Rotorblättern durch, das hat uns ein Gutachten bestätigt.“ Anders verhalte es sich beim Kiesabbau, wo sich Luft über der Abbaufläche erwärmt und die kühle Luft nach oben abgelenkt wird. Mit Blick auf Gauting erklärte Stepp: „Hier ist das Potenzial am größten, aber der Widerstand auch.“

■ Das ist der Sachstand in Gauting

Dies war das Stichwort für Bürgermeisterin Dr. Brigitte Kössinger. Sie erläuterte zunächst die Rahmenbedingungen, unter denen der Gemeinderat die Entscheidung für die Gautinger Anlagen getroffen hat. So seien schon im Jahr 2012 Teilflächennutzungspläne erstellt worden, auf denen allein Windkraftanlagen gebaut werden dürfen. Davon gibt es in Gauting fünf, auf zwei von ihnen (nämlich Buchendorf und Königswiesen) wird geplant. Die Kommune habe sich entschieden, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, um die Wertschöpfung für Gemeinde und Gemeindebürger vor Ort sicherzustellen. „Wir wollten verhindern, dass Dritte bauen. Und es gab Anfragen, glauben Sie mir.“ Erst vor kurzem habe der Gemeinderat ein Bürgerbegehren abgelehnt. Ob mit Recht – darüber werde demnächst das Verwaltungsgericht entscheiden. Sie plädierte mit Nachdruck für die neue Technologie: „Ich persönlich glaube, dass sie ein wichtiger Baustein zur Energieautarkie unseres Landkreises ist.“

■ Diese Erfahrungen hat Berg gemacht

Die einzigen vier großen Windräder, die sich aktuell im Landkreis drehen, befinden sich auf Berger Flur, genauer in den Wadlhauser Gräben. Bürgermeister Rupert Steigenberger gab zu, dass er selbst früher selbst skeptisch gewesen sei, weil die Anlagen direkt in der Sichtachse zur Zugspitze stehen. Doch er hat sich eines Besseren belehren lassen. „Ich wurde vom Saulus zum Paulus.“ Die Berger Anlagen seien 2014 geplant und 2015 gebaut worden. Letzteres war wichtig, um die damals noch geltende EEG-Vergütung zu erhalten. „Inzwischen ist uns das egal, wir erzielen auf dem freien Markt deutlich mehr.“ Die Rendite liege höher als ursprünglich erwartet. Besonders gut verlief das Jahr 2023, als 30 Prozent an die Kommanditisten ausgeschüttet werden konnten. Auch konnte die Gemeinde erstmals Gewerbesteuer in Höhe von 90000 Euro einnehmen – zusätzlich zu ihrer Rendite, sie ist selbst auch Gesellschafterin. Das Bürgerbeteiligungsmodell (Mindesteinlage für jeden Berger Bürger 5000 Euro, geringere Beträge über die Energiegenossenschaft Fünfseenland möglich) habe sich bewährt. „Ein bisschen Mut und jemanden wie den Herrn Sing an der Seite, dann klappt das“, so Steigenberger. Die vier Windräder haben bis heute fast 20 Millionen kWh produziert.

■ Wann wird in Gauting gebaut?

Die Planungen für Gauting treibt Robert Sing voran (S&T Bürgerenergie Planungs GmbH). Sein Unternehmen habe sich der Gemeinde gegenüber verpflichtet, das Risiko der Projektentwicklung zu übernehmen. Sollten die Windräder realisiert werden, bleiben 20 Prozent der Anteile bei seinem Unternehmen, 80 Prozent gehen an die Gemeinde und Gemeindebürger. Die Flächenversiegelung einer Windkraftanlage liege dauerhaft bei 3000, temporär bei 6000 Quadratmetern. Die Zufahrten müssten 4,5 Meter breit sein, um die Rotorblätter transportieren zu können. Aktuell würden zehn Standorte analysiert, für sieben sei ein Antrag auf Vorbescheid gestellt worden, sechs seien von der Luftfahrtbehörde abgelehnt worden. Das aber bedeute in einem so frühen Stadium des Verfahrens nichts. Auf Nachfrage aus dem Publikum präzisierte er nach der Pause, dass mit einem Baubeginn wohl kaum vor 2027 zu rechnen sei. Dann aber würden alle genehmigten Anlagen nach Möglichkeit gleichzeitig errichtet. „Es macht Sinn, zu clustern und nicht bei jeder Anlage von vorne anzufangen.“

■ Wie geht es dem Wald?

Simon Tangerding von der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald zeichnete ein schlimmes Bild vom Zustand des Waldes. „Inzwischen geht es um das blanke Überleben“, sagt er. „Der Wald ist unmittelbar vom Klimawandel betroffen, er stellt längsts keine abstrakte Gefahr mehr dar.“ Kaum Überlebenschancen räumte er für die nächsten Jahrzehnte der Fichte ein. Aus Fichten aber besteht etwa der Forstenrieder Park zu 43 Prozent. Man müsse jetzt entschlossen handeln, um ein Waldsterben zu verhindern, wie es in Franken längst Realität sei. Die Verantwortung sei umso größer, als die Wälder im Süden Münchens die Bewohnbarkeit der Stadt ermöglichen. In Städten wie Neapel etwa, wo Wälder abgestorben sind, sei inzwischen eine hitzebedingte Übersterblichkeit statistisch nachweisbar. Deshalb erklärte er Windkraftstandorte in alten Fichtenreinbeständen für vertretbar.

■ Appell an die Bürger

Auch Michael Sterner, Dozent für Speichertechnologie von der TU Regensburg und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung, hatte keine guten Nachrichten, was die Energiewende angeht. „Wenn sich der Trend in Bayern so fortschreibt, sind wir in 230 Jahren klimaneutral“, sagte er. Es gelte, Tempo zu machen. Inzwischen habe die Staatsregierung eingesehen, dass es ein schwerer Fehler gewesen ist, den Ausbau der Windkraft zu blockieren und den Netzausbau zu erschweren. „Die bayerische Politik hat viel zu lange auf Atomkraft und Gas gefußt, und das hat zu dramatischen Abhängigkeiten geführt.“ Kritik übte er an vielen Gegnern der Windkraft: „Wir sind inzwischen eine derartige Wohlstandsgesellschaft geworden, dass wir es uns leisten können, gegen alles zu sein.“ Fotovoltaik alleine werde niemals ausreichen, um den Bedarf einer modernen Industrienation, wie sie Deutschland nun einmal sei, zu decken.

Die gute Nachricht: Die Technik stellt auf dem Weg zur Energiewende kein nennenswertes Problem mehr dar. „Alles Technologische ist gelöst“, sagte der Fachmann. Das betreffe auch die Speichermöglichkeiten. Insbesondere nannte Sterner das Zusammenspiel von Batteriespeichern und chemischen Speichern, die immer dann kostengünstig beladen werden können, wenn gerade mehr Strom erzeugt wird als von den Verbrauchern benötigt. Vort Ort mitzumachen, sei wohlverstandener Patriotismus.: „Vom Dorf für das Dorf, von der Heimat für die Heimat.“

Reifen zerstochen

Der Infoabend im Bosco wurde von einem Vorfall überschattet: Zeitgleich zur Diskussion haben Unbekannte den rechten Vorderreifen des E-Autos von Referent Michael Sterner zerstochen. Er musste in Gauting über Nacht bleiben und erstattete am nächsten Tag Anzeige bei der Polizei. Wie Inspektionsleiter Andreas Ruch mitteilt, übergab Sterner vor Beginn der Veranstaltung sein Auto einem Kollegen. Dieser fuhr damit zur E-Ladesäule beim Öko & Fair in der Berengariastraße. Als der Dozent gegen 22.30 Uhr dort hinkam, fand er den Wagen beschädigt. Er vermutet Windkraftgegner hinter der Aktion, die seinem Auto gefolgt sein müssen. Er sei in der Vergangenheit wegen seiner Haltung öfter angefeindet worden. Die Gautinger Polizei hält einen Zusammenhang nicht für zwingend. „Das hätte schon jemand gezielt auskundschaften müssen“, so Ruch. Auch andere Motive seien möglich, etwa Hass auf Elektroautos.

05.07.2024, Volker Ufertinger