Es heißt, Joseph Haydn habe sein C-Dur-Streichquartett mit einer (wenn auch recht diskreten) Dissonanz beginnen lassen, um das plaudernde Publikum allmählich zur Ruhe zu bringen. Das wäre beim spanischen Cuarteto Quiroga nicht nötig. Deren zwischen körperloser Leichtigkeit und sinnlichem Schwung changierende Quartettkunst lässt von der ersten Note an aufhorchen – und bis zur letzten bleiben Neugier und Konzentration des Publikums unvermindert. Dabei sind die drei Musiker und die eine Musikerin des madrilenischen Quartetts keineswegs Newcomer. 2004 gegründet, hat sich das Niveau des Ensembles längst herumgesprochen. Es ist Teil einer glücklichen Generation, die nicht wenige exzellente Quartette hervorgebracht hat. Was aber ist Quiroga-typisch, was macht jedes der Konzerte dieser vier Musizierendem zu einem Ereignis, das man sich möglichst nicht entgehen lassen sollte?
Da wäre zum Einen der unwiderstehliche, in Jahren gemeinsamen Musizierens geschliffene Ton. Wenn etwa im Kopfsatz von Haydns C-Dur-Quartett Opus 74 Nummer 1 die Trillerketten purzeln, möchte man kaum glauben, dass hier hart gearbeitet wird, um dieses Ergebnis zu erzielen. Es ist, als käme der Klang von selbst, das Quartett muss ihn nur noch aufnehmen, so unangestrengt, entspannt, samtig tönt es von der Bühne. Dieser flexible, durchgängig anpassungsfähige Ton bildet die Basis für alles Weitere. Denn Haydns Streichquartette der 1793 entstandenen Gruppe von Opus 71 und 74 stellen trotz aller kammermusikalischer Prägnanz ihren Zug ins Symphonische aus. Dem begegnen die Quirogas mit ausgefeilter Klangregie, etwa wenn sich nach Momenten intensiver musikalischer Verarbeitung im zweiten Haydn-Satz ein harmonisch weit entfernter cis-Moll-Akkord aufblättert. Eingebettet in heitere G-Dur-Bewegungen ist das ein Skandal. Das Cuarteto Quiroga präsentiert ihn mit einer Bestürzung, die auch dem ewig lächelnden Porträt von Papa Haydn die Mundwinkel für einen Moment nach unten ziehen würde. Im rustikalen, mit musikantischem Temperament aufgespielten Menuett ist davon freilich nichts mehr zu merken. Und schon gar nicht im Finale, einer grandiosen Feier des Haydn’schen Esprits, ausgefeilt und elegant. Einzig mit den hohlen Quinten, die der Komponist den Dorfmusikanten seiner niederösterreichischen Kindheit abgelauscht haben könnte und die das Cuarteto Quiroga bewusst aufraut, wird der Satz etwas gröber.
Damit ist auch eine kleine Überleitung zum zweiten Werk des Abends gebaut. Denn wer glaubt, mit geschmackvoller Wiener Klassik sei’s getan beim Cuarteto Quiroga, wird mit den wilden Klängen von Alberto Ginasteras erstem Streichquartett eines Besseren belehrt. Einem einflussreichen Text über den argentinischen Komponisten zufolge steht sein Opus 20 am Beginn seiner Phase des "Subjektiven Nationalismus", der den Charakter der argentinischen Volksmusik mit akademisch gelehrter Technik verbinden möchte. Harte, stark rhythmisierte Klänge dominieren die schnellen Sätze. Doch dass etwa der erste Satz hier eine so suggestive Wirkung entfaltet, liegt nicht am einfachen Drauflosschrubben der vier Musiker, sondern daran, dass sie es verstehen, die Schärfen der Partitur bedacht in Kontrast zu den expressiv gesungenen Stellen zu gestalten. Dazu kommt, dass sie dieses Stück schon länger miteinander spielen und deshalb etwa auch die ins Leere laufende Verfolgungsjagd des zweiten Satzes präzise und folgerichtig durchführen können. Das Zentrum des Werkes allerdings ist der mit "Calmo e poetico" überschriebene dritte Satz, ein fast statisches Nocturne. Über einen Akkord, der sich aus den Tönen ergibt, auf die traditionellerweise Gitarren-Saiten gestimmt sind, über diesen schimmernden Akkord legt sich eine lyrische, fast beunruhigend schön präsentierte Violin-Stimme. Auch ein paar expressive Ausbrüche ändern nichts an der Nacht-Atmosphäre des Satzes. Das geschieht erst im effektvollen Finale, einem energischen Kehraus, bei dem die Quirogas noch einmal viel Energie umsetzen: Die gefühlte Temperatur erhöht sich.
Jubel für das spanische Quartett! – das eigentlich nach dem galicischen Geiger Manuel Quiroga benannt ist. Da ist es nur richtig, sich mit einem Gruß aus der Heimat zu verabschieden. Mit einem Weihnachtslied aus der grünsten Region Spaniens fasst das Cuarteto Quiroga seine Qualitäten zusammen: Charme, Temperament, Leichtigkeit und die Fähigkeit, ein Publikum zu begeistern.