Satire darf: Erwartungen brechen, vor den Kopf stoßen, wütend machen, polarisieren, albern sein, böse sein, traurig sein. „Satire ist wie Kabarett, nur nicht lustig“, sagt Andreas Thiel. Und lustig ist sein Programm „Macht“, das er am Sonntagabend in Gauting vorstellte, tatsächlich nicht. Das Lustige überlässt der Schweizer den Kollegen von der Comedy, denn „Comedy ist dazu da, damit auch die humorlosen Menschen etwas zu lachen haben.“ Womit klargestellt ist: Humor hat nicht immer mit dem quietschig vergnügten Lachen zu tun, aber ist in der Satire zuhause.
Viele Menschen hat Andreas Thiel mit seiner jüngst in die Feuilletonschlagzeilen – falls es die geben kann, da Schlagzeilen eher auf Titelseiten beheimatet sind – geratenen Islamkritik vor den Kopf gestoßen, wütend gemacht, seine Äußerungen haben polarisiert. Ob sie tatsächlich Satire waren, soll nicht Gegenstand dieser Nachtkritik sein. Der Humor war gewiss in den meisten Reaktionen abwesend, die deshalb aber auch nicht unbedingt Comedy waren. Oder doch? Wer zuletzt lacht …
Was darf Satire? Über rassistische Witze lachen machen? Das Lachen, führt Thiel aus, wird durch gezielt gesetzte Reize ausgelöst. Fachleute wie Kaberettisten, aber auch Satiriker können Lachen mit bewusst eingesetzten Stilmitteln – den Pointen – klar steuern. Gewissermaßen besitzen sie damit die Macht über die Lachmuskeln ihres Publikums. Dieses wiederum kann das eigene Lachen in solchen Momenten nicht mehr bewusst steuern, muss gezwungenermaßen lachen. Man darf über rassistische Witze nicht lachen, aber man muss – wenn die Pointe es so will. Der Comedian, der Kabarettist als Urheber dieser Witze sind sich ihrer Verantwortung vielleicht nicht immer bewusst. Der Satiriker, dessen Gebiet die bewusst geschliffene Sprache ist, mehr noch als bei den beiden zuerst genannten Kollegen, muss sich dieser Verantwortung entsprechend mehr bewusst sein. Einem Andreas Thiel ist dies in jedem Fall zuzutrauen. Jemand, der mit Sprache so umzugehen versteht wie er, weiß um die Genauigkeit der Goldwaagen bezüglich der Maßeinheit Gefühl. Sonst wäre ein verbaler Flügelschlag vom Tourneeplan seines Managers bis zum Fall des Euro kaum denkbar. Darf Satire also alles?
Satire darf sich allerdings kostümieren. Wer aussieht wie ein Leningrad Cowboy, darf sich einiges erlauben. Darf „Macht“ auf das Plakat schreiben und erst einmal über die Unterschiede zwischen dem deutschen und dem Schweizer Humor reden. Darf eine verwirrende Geschichte erzählen, die in Island beginnt, eine biblische Landschaft zitiert und bei rosa Elefanten und aus Eisenbahnen fliegenden Blütenblättern endet, ohne dass eine Auflösung derselben folgt. Satire ist Punk ist Pathos ist Satire. „Die Frisur ist echt“, bekennt Andreas Thiel nach der Pause und fügt noch das Bekenntnis hinzu, morgens eine halbe Stunde zur Fertigung des Irokesenkamms zu benötigen und nachts immer auf der Seite zu schlafen. Nach einem Ausflug in die bei Kabarettisten ebenso wie bei Satirikern beliebte Waldorfschule und ihre offensichtlich immer für einen Spaß gute Erziehungskunst – anscheinend sind ausgelutschte Späße über Eurhythmie keine Comedy – findet das Programm dann doch wieder zurück auf sein Niveau des Sprachtanzes, der Bilder generiert wie das der Schmetterlingssuppe, die auf dem Gefahrenherd gekocht wird. Am Ende entsteht aus einem poetischen Höhenflug das ebenso reizvolle wie gefährliche Wort „Macht“. Und die Satire hat zu ihrem Sinn gefunden.
Satire darf keinesfalls: gähnen machen. Leider sind manche Momente des Programms dazu angetan. Und leider ist man als Zuschauer dann machtlos. Aber Machtlosigkeit ist nicht der schlechteste Zustand, wie die Zugabe beweist, in der einem Todeskandidaten angesichts der eigenen Hinrichtung immerhin noch die Wahl der den elektrischen Stuhl betreibenden Energieform bleibt. Genau das ist die der Satire innewohnende böse Ironie.