Er sprang mit durchschlagendem Erfolg bereits für Ivo Pogorelich (2006) und für Jewgeni Kissin ein. Das besagt, dass man ihm zutraut, einerseits die von den zwei Giganten geschürten Erwartungen des Publikums vom Niveau her zu erfüllen, andererseits auch sehr kurzfristig ein höchst anspruchsvolles Programm parat zu haben, und es auch ohne Notfallabstriche zu Interpretieren. Acht Tage vor seinem 29. Geburtstag bewies Andrei Korobeinikov seine Klasse nun auch im bosco.
Sein Spiel ist weder graziös noch elegant, wie man es bei Kit Armstrong sagen kann. Korobeinikov ist vielmehr zunächst ein handfester und bodenständiger Handwerker am Instrument. Und darin ein Perfektionist höchsten Ranges. Seine Musik meißelt er millimetergenau in Stein. Jede Anschlagsart, jeder Ton, jede Klangnuance sitzen präzis und treffen musikalisch exakt die für ihre Wirkung nötigen Parameter. Optisch wirkte hier alles irgendwie angespannt, ja verkrampft. Korobeinikov saß nah an der Klaviatur, hielt seine Arme eng am Körper. Schloss man aber die Augen, so beherrschte höchste Musikalität und nuancenreiche Feinsinnigkeit das Hörbare – mal abgesehen vom Mitsingen des Pianisten. Aber gerade Letzteres scheint eine überaus beflügelnde Rolle gespielt zu haben: Sein Cantabile war von klangschöner Tragweite, seine Melodik floss ungestört, selbst wenn rein technisch die Linie von virtuosen Figuren in den anderen Stimmen zerklüftet war. Zu hören war im Vordergrund stets ein dicht geschlossener Melodiefluss in ausdrucksstarker Modellierung.
Und das war hier im Programm mit Werken von Schumann und Prokofjew von höchster Wichtigkeit sowie von großer inhaltlicher Bedeutung. Es ging letztendlich um die Suche des jungen Schumann nach der poetischen Form, die Prokofjew aufgriff und zu vollenden vermochte. Und Korobeinikov deckte in seinem Programm erstaunliche Zusammenhänge auf. Durchaus, Etüde des 19. Jahrhunderts – als Konzertetüde –, Fantasie und Toccata entstammen der virtuosen Improvisation. Aber das hier Prokofjews Sonate op. 84, die „Verkörperung gewaltiger lebensbejahender Kräfte“ (Alexander Alexejew) als Fantasie bestehen würde, überraschte vielleicht doch etwas, zumal Korobeinikov wahrlich kein zimperlicher Pianist ist. Es war schon teils ein gewaltiger Donner, den er hier den beiden Komponisten zumutete. Beeindruckend, in welchen Wasserfällen sich hier manche Etüden in Form freier Variationen über ein Thema von Beethoven WoO 31 ergossen. Manche steigerten sich zu monumentalen Gebeten oder zu sinfonischen Dichtungen. Auch Schumanns aufgrund der berechtigten Annahme, seine geliebte Clara verloren zu haben, schmerzerfüllte Fantasie C-Dur op. 17 überzeugte mit extremen Ausprägungen zwischen gewaltigem Substanzanschwellen und den zartesten Spuren kantabler Lyrik.
Es faszinierte nicht wenig, zu sehen, wie sich die berstende Anspannung urplötzlich löste und Korobeinikov sich in innigste Schwärmerei vertiefte. Ein Kunstgriff, der bei Prokofjew noch deutlicher zum Tragen kommen sollte. Die Toccata d-Moll op. 11 von Prokofjew griff zwar die lyrisch-romantische Faktur Schumanns auf, doch ließ es sich der russische Komponist nicht nehmen, die klassische Motorik einzusetzen, zudem verbunden mit halsbrecherischer Virtuosität. Und so exerzierte sie Korobeinikov mit auf die Spitze getriebener Exaktheit und nahezu maschineller Konsequenz vor. Das Ausdrucks- und spieltechnische Spektrum, das er hier öffnete, sollte schließlich in Prokofjews Sonate in einer poetischen Variante revuepassieren. Es löste schon ein Wechselbad der Gefühle aus, was der russische Pianist hier bot. Die wunderbare Atmosphäre des Andante sognando zwischen Walzer und Menuett bereitete wirkungsvoll ein Feuerwerksfinale im gewaltigen Schlusssatz vor, dessen Tanzrhythmus im Zentrum einen Taumel des Wahnsinns entfachte. Die frenetischen Ovationen des Publikums reichten für drei Zugaben nicht geringeren Kalibers: Bagatelle von Beethoven, Prélude von Rachmaninow und Barcarolle von Tschaikowski.