Direkt zum Inhalt

Veranstaltungsinfo

Do, 27.10.2022
20.00 Uhr
Kabarett

24,00 / 12,00

Regulär / bis 25 Jahre

< Zurück zur Übersicht > Termin im Kalender eintragen
Veranstalter: Theaterforum Gauting e.V.

Axel Pätz: Mehr! - Tastenkabarett

Wir haben es geschafft. Willkommen im Anthropozän!

Die Erde ist uns untertan, wir haben alles, was der Mensch braucht und was kein Mensch braucht, haben wir doppelt und dreifach. Wir kommen an die entlegensten Winkel der Welt, in die tiefsten Tiefen, auf die höchsten Gipfel, wir kommen auf den Mond, auf den Mars, nur auf eines kommen wir nicht: Auf die Idee mal innezuhalten, uns mal zu fragen: Wo führt das alles hin?

Denn egal, was wir haben, wir brauchen MEHR! Logisch: "Her damit" klingt doch viel dynamischer als: "Bin bisher auch ganz gut ohne klar gekommen". Das Wachstumsdogma ist unumstößlich, treibt uns schneller, höher, weiter auf der nach oben offenen must-have-Skala. Wer rastet, der kostet, und Kosten sind das Einzige, auf das wir gerne verzichten. Bankenkrise, LockDown, Börsencrash – nichts kann den Konsumklimaindex dämpfen. Dinge, von denen unsere Eltern noch nicht ahnten, dass es sie jemals geben würde, scheinen uns unentbehrlich:  Computer, Smartphone, unbegrenztes Datenvolumen, Laubpuster, musizierende Unterhosen, Raumspray mit Hühnersuppenaroma und Eierschalensollbruchstellenverursacher.  Haben Sie noch nicht? Dann aber nix wie ab in den Online-Shop! Der Wohlstandsbürger besitzt statistisch zwei Autos, vier Mobiltelefone und eineinhalb Aufsitzrasenmäher. Dabei hat nur jeder fünfte einen Garten.

Klar, bei so rasantem Fortschritt muss man Widersprüche in Kauf nehmen: Wer sich alle drei Jahre einen neuen SUV kaufen will, kann nun mal nicht mehr als 1,99 € für ein Kilo Schweinefleisch zahlen. Wir haben Waschmittel für blütenweiße Hemden, aber braune Flecken in der Gesinnung kriegen wir einfach nicht raus. Und: macht es bei technischen Qualitätsprodukten eigentlich einen Unterschied, ob man mit dem Laubpuster die Blätter vor der Haustür oder mit schwerer Artillerie Protestierende vor dem Regierungspalast wegpustet? Die größten Ängste der Deutschen sind nicht mehr Hunger, Armut, Krieg, sondern Tempolimit, kein Klopapier mehr und dass der Syrer von nebenan den schöneren Gartenzwerg hat. Bei seltenen Erden denkt inzwischen keiner mehr an die Einzigartigkeit unseres Planeten, sondern an die zunehmende Vormachtstellung der Chinesen. Terra ist in erster Linie ein Synonym für ganz, ganz viel Speicherplatz. "Schöpfung" nur noch ein Suffix von "Wertschöpfung".

Und keiner kann der Maximierungs-Falle entkommen. Daher spielt Axel Pätz in seinem aktuellen Soloprogramm sechshändig Klavier und Akkordeon, bedient simultan mit den Füßen eine lebensgroße Klappmaulpuppe und intoniert dazu ein sechsstimmiges Gregorianisches Obertonmadrigal.

 

Gefördert von:

               Logo Neustart Kultur                                          

 

Nach(t)kritik
Weniger!
Nach(t)kritik von Sabine Zaplin

Selten ist die Rezensentin so ratlos aus einer Kabarettvorstellung im bosco zurückgekehrt wie am Donnerstagabend. Ratlos war sie vor allem, weil sie nicht einzuschätzen wusste, wen und auch was Axel Pätz mit seinem Program „Mehr!“ eigentlich erreichen wollte. Da gab es beispielsweise eine Nummer über die Begeisterung seiner Ehefrau für die Betrachtung und den Erwerb von Schuhen. Nichts, so der Künstler, könne seine Frau so erfreuen wie ein oder mehrere („Mehr!“) Paare Schuhe. Nun ist eine Kabarettnummer zum Thema „Frauen und Schuhe“ ohnehin nicht besonders originell, aber es dürfte sich mittlerweile auch nach Hamburg herumgesprochen haben, dass Frauen mehr kennzeichnet als der Besuch im Schuhgeschäft, so wie auch Männer deutlich mehr Interessen haben als Autos. Vermutlich, so dachte die Rezensentin, will dieser Künstler sein Publikum testen, ob es die irgendwo versteckte Hintergründigkeit der oberflächlichen Banalität entdeckt, den doppelten Boden entziffert.

Vielleicht ist eine satirische Betrachtung des Gartenarbeitsgerätes Laubbläser, die seit etlichen Jahren in Kabarettprogrammen zu finden ist, angesichts von Klima- und Energiekrise tatsächlich aktuell und auch einer weiteren Variante würdig. Bestimmt sind auch humoristische Anmerkungen zur elterlichen Namensauswahl für den Nachwuchs immer wieder lustig, da sich hier doch stets neue abenteuerliche Kombinationen erfinden lassen und ein „Dschäisn-Maximilian“ noch nicht dabei war. Aber wo ist die Hintergründigkeit bei einem Lied über den Rollator, wenn diese Mobilitätshilfe neben so manchem Stuhl im Saal geparkt ist?

Zugegeben: die Beschäftigung mit zügellosem Konsum und einer auf das immerwährende, aber bitte schnell zu bestellende und im Fall des Nichtgefallens kostenlos zurückzusendende Glück bestehenden Gesellschaft ist ehrenwert und Axel Pätz in vielen Nummern gelungen. Die Beobachtung, dass Menschen hierzulande gern viel Geld für einen SUV ausgeben, um darin bequem und vor allem hoch sitzen zu können, während sie gleichzeitig nicht bereit sind, für ein Stück Fleisch einen angemessenen Preis zu zahlen, trifft ins Schwarze. Dass das Stück „Gut und billig“ dann auf einem luxuriösen Lifestyle-Grill landet, ist ebenfalls einen - vermutlich mancher Selbsterkenntnis geschuldeten - Lacher wert. Aber ein Gag unter dem Aspekt „Mehr!“ über einen multimaladen Freund, der nicht nur „Knie, Hüfte, Rücken“ hat, sondern auch „Krebs, Muschel, Hummer“, so dass der Künstler sich die Frage stellen muss, was man jemandem noch schenken soll, der schon alles hat - da hätte sich mancher im Saal vermutlich ein „Weniger“ gewünscht.

Vielleicht waren das auch alles Tricks, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu testen. Und so wird die Rezensentin jetzt nicht hereinfallen und den Titel eines Songs des Tastenkünstlers als Steilvorlage nehmen: „Das Hirn ist im Arsch“. Das wäre zu einfach.

Galerie
Bilder der Veranstaltung
Do, 27.10.2022 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.