Mit Mascha Kaleko hat wohl jeder, der sie kennt, seine eigene Geschichte. Geschichten verlorengegangener Lieben die einen, Geschichten zwischen den Fallen des Alltags die anderen. Sie ist die Dichterin für den späten Abend, mit einem Glas Rotwein am Fenster und niemandem dahinter im leeren Zimmer. Sie kann aber auch die Dichterin sein, die Worte hat für die ohnmächtige Wut und gegen diese Wut und für den Moment danach, in welchem man einen kleinen nichtigen Anlass für ein befreiendes Lachen braucht.
„Sozusagen grundlos vergnügt“ - unter diesen Titel stellt Belle Schupp ihren Mascha-Kaleko-Abend, den sie am Donnerstag in der bar rosso präsentierte. Ein Abend in sechs Kapiteln, analog zu jenen sechs Leben, die sich die Dichterin selbst im Rückblick gab: Mascha allein, Mascha und ihr erster Mann, Mascha und ihr zweiter Mann, Mascha und ihr zweiter Mann und der Sohn Steven, Mascha und ihr zweiter Mann ohne Steven, Mascha allein.
„Eigentlich sollte ein solcher Abend ja dramaturgisch so aufgebaut sein, dass er mit dem ernsten Teil beginnt und dann heiter wird“, sagt Belle Schupp und fügt gleich hinzu, dass Mascha Kalekos Leben einer solchen Dramaturgie nicht folgt.
So beginnt der Abend mit dem frechen „Interview mit mir selbst“, das die angehende junge Dichterin wie eine Visitenkarte ihren Einsendungen an Verlage beilegte. „Acht Stunden bin ich dienstlich angestellt/Und tue eine schlecht bezahlte Pflicht./Am Abend schreib ich manchmal ein Gedicht./(Mein Vater meint, das habe noch gefehlt.)“, lautet eine Strophe daraus. Die ersten Veröffentlichungen der mit ihrer jüdischen Familie aus dem armen Galizien (im heutigen Polen) nach Berlin gezogenen Familie erscheinen in der Vossischen Zeitung - Alltagsgedichte, in einer verständlichen Sprache verfasst, einem klassischen Reimschema folgend, stilistisch geprägt von kessem Berliner Witz und jüdischer Melancholie. Oft wird Mascha Kalekos Lyrik mit jener Erich Kästners verglichen, auch mit Kurt Tucholsky oder Joachim Ringelmatz - alles Zeitgenossen der zunächst ausgesprochen erfolgreichen jungen Dichterin. Und doch verbieten sich Vergleiche, denn Mascha Kalekos Gedichte finden sehr rasch ihren eigenen, unverwechselbaren Ton. Belle Schupp beweist dies, indem sie unmittelbar hintereinander Kästners „Sachliche Romanze“ und Tucholskys „Liebeslied am Fenster“ rezitiert, um dann noch mit einem sehr kraftvollen, farbigen Brecht-Gedicht einen ganz anderen Ton hineinzubringen: „Komm Mädchen, lass dich stopfen.“
Der zweite Teil ist der gewichtigere, tragischere - dem Leben der Dichterin folgend, das über die Stationen Nazi-Terror, Bücherverbrennung, Exil, nochmal Exil und schließlich Tod des geliebten Sohnes eine rasante Abwärtsbewegung vollzieht. „Was man so alles überlebt“, lautet der Titel eines der letzten Gedichte dieses Abends, und das zählt gewiss zu jenen Poemen, die einem gerade in diesen Zeiten einen Tag retten können, mit Sätzen wie diesem: „Die Katastrophe spricht mit zynischem Gähnen:/Geduld, Geduld,/du wirst dich schon an mich gewöhnen.“
Belle Schupp gestaltet den Abend mit sehr wenigen Mitteln: drei, vier kurzen Stücken am Akkordeon; aus dem Leben der Kaleko erzählend, ihre Gedichte aus Büchern lesend oder auch frei rezitierend. Ihre eigene Geschichte, die sie mit der Dichterin verbindet, offenbart sie am Schluss: auch sie hat, wie Mascha Kaleko, ein Kind an eine heimtückische Krankheit verloren. „Den eigenen Tod stirbt man nur“, heißt es in einem Gedicht von dieser, „mit dem der anderen muss man leben.“