„I´m the most unpredictable musician in history“, sagt Big Joe Maher, der Drummer und Spiritus rector der aus Texas kommenden Formation „Anson Funderburgh & The Rockets“ - der unberechenbarste Musiker der Geschichte also. Bei der 2.Bosco-Bluesnacht wusste man als Zuhörer wirklich nicht, was noch kommen würde an Überraschungen. Nur eines war bald klar: Das Allermeiste war vom Feinsten. Ludwig Seuss hatte mal wieder seine unerschöpflichen Kontakte zwischen Hessen und Houston spielen lassen, um nach der Mojo Blues Band aus Wien und der Hamburger Legende Abi Wallenstein 2016 erneut Erlesenes zu präsentieren. Den Anfang bzw. den „Support“ für den „Main act“ machten Klaus „Mojo“ Kilian und Bernd Simon aus Frankfurt am Main, zwei wirklich hinreißende Haudegen, die seit 1991 gemeinsam unter „Down Home Percolators“ segeln und vor allem den Blues der dreißiger und vierziger Jahre im Gepäck haben: Kilian ist vor allem ein ganz vorzüglicher Bluesharp-Spieler sowie Sänger und Gitarrist, Simon der Gitarrenvirtuose mit einem ganz eigenen, extrem spitzfingrigen Stil. Das Duo verströmt trotz (oder gerade wegen?) seiner hessischen Sachlichkeit glaubwürdig den Staub der Hobo-Zeiten, als die Mississippi Sheiks „Sittin´ On Top Of The World“ komponierten und mit „On Top“ das Kreuz-und-quer-durchs-Land-Fahren oben auf den Zügen meinten. 1968 hat sogar „Cream“ diesen Klassiker gecovert, wie viele andere schon vor ihnen.
Die „Down Home Percolators“ jedenfalls haben auch den Chicago Style drauf, wenn sie mit „Trouble No More“ besingen und beharpen, dass die Frau weg ist und es endlich keinen Ärger mehr gibt. Sympathisch, wie die beiden hessischen Blueser in etwas mehr als 30 Minuten die Raumtemperatur anheizten und den Gastgeber Seuss, der sie einst bei irgendeinem Festival vor 25 Jahren kennengelernt hatte, auch noch in den Klassiker „Sugar Mama“ am Piano integrierten. Dass zuvor noch ein Tribute an den großen Louisiana Red heraussprang, dürfte dem Mann vom Gautinger „Bayoo“ sicher gefallen haben.
Der zweite Teil bzw. Hauptpart des Abends gehörte dann den Texanern um Big Joe Maher und den Wahnsinnsgitarristen Anson Funderburgh, die laut Seuss ihren einzigen Gig in Deutschland ausgerechnet dem Bosco weihten: Zur Band gehört außer dem Bassisten Eric Przygocki und dem Organ-Spieler „Gentleman“ John Street (mit feinem Händchen und Bierruhe gesegnet) auch noch der gebürtige Wiener Christian Dozzler: Gefühlte 2,20 Meter groß und irgendwie an Peter Rubin erinnernd, überraschte der Keyboard- und Akkordeon-Spieler mit der interessanten Stimme auch noch durch Zwischenansagen auf Deutsch: „Jetzt wunderts euch wohl?“ Nein, uns verwundert nichts mehr, denn wenn einer wie Dozzler seit 20 Jahren in Texas lebt, dürfte er es kurz genießen, mal wieder die Muttersprache zu pflegen. Dem „texanischen“ Element wurde freilich auch noch von Big Joe eine gute Portion „Washington D.C.“ beigemischt: Der Mann, der mit seiner Mütze wie ein Veteran aus dem spanischen Bürgerkrieg aussieht und hinter dem Drumset fast zu versinken schien, erzählte vor fast jeder Nummer aus der Deckung heraus eine passende Geschichte, oder er stellte philosophische Betrachtungen an, wie Blueser das so machen, wenn es heißt „Your Turn To Cry“ (großartiges Fundstück) oder „Sometimes Love Is Like That“ - wunderbare Songs von der Vergeblichkeit der Liebe, gekleidet in grimmige Trauer.
Womit wir bei dem erwähnten Wahnsinnsgitarristen Anson Funderburgh wären, musikalisch der eigentliche Chef der Band, der den ganzen Abend nichts sagt und auch kaum singt, sondern nur durch sein Instrument spricht: Sein Spiel kann völlig zurückgenommen sein und wie ein einziger Fadeout wirken, so sanft zupft er die Saiten seiner E-Gitarre. Er hat aber auch den jaulenden Riff des Südens im Repertoire, stets sich messerscharf herausschälend aus dem Duktus der Stücke und doch von unprätentiöser Grazie, wenn man einem Mann so etwas denn bescheinigen kann. Selten kann man durch alle Spielarten des Blues hindurch einen so konzentrierten, so präzisen Gitarristen erleben. Das Publikum, es lauschte genauso konzentriert, bis hin zur Session, bei der auch Ludwig Seuss und „Mojo“ Kilian wieder mitmischten. Die 2.Bosco-Bluenacht war, um mit Big Joe Maher zu sprechen, in der Tat ein Genuss von unvorhersehbaren Ausmaßen.