Musik kann Klangzauber sein, in andere Welten entführen. Musik kann aber auch einen Zugang zur Realität öffnen. Zumindest, wenn das famose New Yorker Streichquartett „Brooklyn Rider“ diese Musik macht. In ihrem aktuellen Programm widmen sich die Musiker dem Thema der vier klassischen Naturelemente und fordern durch intensives Spiel und eine bezwingende Programmdramaturgie zur Auseinandersetzung mit einer Welt heraus, deren Elemente so oft aus dem Gleichgewicht zu geraten scheinen.
Dabei ist der Beginn buchstäblich geerdet. Der Brooklyn Rider-Geiger Colin Jacobsen hat fünf Folk Songs aus der Sammlung der Volksmusikkundlerin Ruth Crawford Seeger ausgewählt und geschickt für sein Quartett arrangiert. Hier wird munter gefiedelt, hier zeigen die vier Musiker ihre spieltechnische Souveränität, hier werden kundig Tierstimmen imitiert – wer hätte gedacht, dass ein Streichquartett so überzeugend als Eichhörnchen figurieren kann? Und doch scheint in den Stücken immer etwas Dunkles im Hintergrund zu lauern. Dissonante Klänge lassen die bodenständige Fröhlichkeit allenfalls in gebrochener Form zu.
„Hollow Flame“ der US-amerikanischen Komponistin Akshaya Tucker ist ein Werk von bemerkenswerter musikalischer Ereignislosigkeit. Zwar kann das Quartett hier andeuten, wie sich das Züngeln einer Flamme in Kammermusik übersetzen lässt – vor allem durch tonloses Schrubben am Steg –, doch viel mehr passiert auch nicht. Im zweiten Werk, das das Quartett für das Programm „The Four Elements“ in Auftrag gegeben hat, „Aere senza stelle“ der Portugiesin Andreia Pinto Correia, steht dem eine Fülle an Ideen gegenüber. Aus beängstigend statischen Clustern schälen sich durchdringende Cello-Schreie. Dabei verliert sich das Quartett nie in greller Kakophonie, sondern gestaltet auch das Katastrophische noch sorgfältig. Auch die aus den Fugen geratene Welt verdient erlesene Klangkultur.
Diese wird geradezu gefeiert in „Ainsi la nuit“. Das Meisterwerk von Henri Dutilleux gehört zum Kanon der Kammermusik des zwanzigsten Jahrhunderts. Brooklyn Rider lässt dem siebensätzigen Werk gleichwohl den Charakter des Vorläufigen. Alles entsteht im Moment, jede Struktur wird entwickelt. So ergibt sich aus den kühl träumerischen Klängen des anfänglichen „Nocturne“ ein lebendiges Spiel mit Motiven. Die Musiker erkunden die Eigenschaften der Sätze, die sich jeweils einem bestimmten Thema widmen, ohne dabei besonders programmatischen Nacht-Charakter zu haben. Eher geht es um Spielweisen – Pizzicato oder Akkorde – oder strukturelle Eigenheiten – Cluster etwa oder die Bildung von Melodien, die hier mal sonor, mal lyrisch oder fragil tönen.
Veritable Elementarkraft entfesselt das Quartett schließlich in Dmitri Schostakowitschs achtem Quartett, der vielleicht schonungslosesten Auseinandersetzung des Komponisten mit dem Phänomen der Zeit. Brooklyn Rider wählt einen überraschend warmen Klang für das oft gespielte Stück, als gelte es zu sagen: So trostlos es scheint, noch ist nicht alles verloren. Der wilde zweite Satz ist daher in Verbund mit dem gespenstischen Walzer eher als vitaler Tanz zu verstehen, ein Tanz auf dem Vulkan freilich. Noch in der sehnsuchtsvollen Cello-Melodie des finalen Largo steckt Leben.
Mit Osvaldo Golijovs „Tenebrae“ einen tröstlichen Schluss zu suchen, passt daher ins Konzept. Satte, auf wiederholten Motiven basierende Klänge füllen den Saal, ein Moment der Beruhigung nach einem ungewöhnlich intensiven Konzert. Dass die Werke dennoch fast ausnahmslos wirken und vom Publikum intuitiv angenommen werden, liegt an der Zugänglichkeit, die das Ensemble ihnen kraft ihrer so balancierten wie engagierten Quartettkunst verleiht. Auf den Applaus mit Händen und Füßen reagieren die vier mit einem weiteren Stück von Golijov, dem letzten, verträumten Satz aus seinem für Brooklyn Rider geschriebenen Quartett „Um Dia Bom“.