Römerzeit, Industrie an der Würm und ein kurzes Intermezzo als Kurort: Hans-Georg Krause veröffentlicht eine Dokumentation über die Historie seines Heimatortes Gauting
Gauting – Mausefallen werden in der von Wilhelm Baier am Würmufer in Stockdorf erbauten Fabrik schon lange nicht mehr hergestellt. Auch Zigarren werden in Gauting nicht mehr gerollt, das stattliche Gebäude der Austria-Tabakfabrik an der Bahnhofsstraße ist längst abgerissen. Und auch vom Glanz des Bahnhofs, einst Gautings Tor zur Welt, ist nicht viel übrig geblieben.
„Mausefallen für Dich – Zigarren für die Welt“ heißt das Buch, in dem Hans-Georg Krause die frühe Industrialisierung in Gauting dokumentiert. Es ist dem ehemaligen Lehrer und Gründer des Theaterforums gelungen, aus der sehr sehenswerten gleichnamigen Ausstellung, die im April im Bosco zu sehen war, ein sehr lesenswertes Buch zu machen.
Gauting war in seiner langen Geschichte weit mehr als ein wichtiger römischer Handelsort und eine bezaubernd schöne Villenkolonie. Über viele Jahrhunderte war es vor allem ein Bauerndorf, in dem wegen der schlechten Schotterböden im Würmtal nur karge Erträge erwirtschaftet wurden. Nicht einmal 400 Menschen lebten dort in der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Der älteste gewerbliche Betrieb in Gauting war die Reismühle, die 1281 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Das Wasser der Würm hatte seit jeher viele Mühlen zwischen Leutstetten und Stockdorf angetrieben. Und es war dann auch die Nutzung der Wasserkraft, die mit dem Einsetzen der Industrialisierung zu einer rasanten Veränderung der Arbeitswelt und damit des Lebens in Gauting führte.
Die 1877 errichtete Papierfabrik von Julius Haerlin, einstmals der größte Arbeitgeber in Gauting, und die Vorproduktion in der Holzschleif wurden mit mehreren Wehren und Wasserrädern an der Würm betrieben. In Stockdorf und Grubmühl entstanden Metallstanzwerke. 1895 wurde am südlichen Ortsrand eine neue Stauanlage der Würm genehmigt und im selben Jahr ein „Etablissement zur Herstellung von Stahlkugeln für die Fabrikation von Velocipeds“ errichtet. Es lag wohl nicht nur am komplizierten Namen dieses Betriebs, dass er noch im selben Jahr zwangsversteigert werden musste. Am selben Ort wurden bald darauf im Alfawerk landwirtschaftliche Maschinen hergestellt. Seine Blütezeit erlebte dieser Standort dann als „Maschinenfarbrik Gauting“ oder „Mafaga“ in den 1930er-Jahren.
Auch die „Esslinger Draht- und Eisenwarenfabrik“ von Wilhelm Baier war bereits 1908 nach Stockdorf übersiedelt, um mit dem Wasser der Würm ihre Maschinen antreiben zu können. Der heutige Weltkonzern Webasto begann damals mit dem Bau von Fahrradschutzblechen und Mausefallen. Die Firma war in Kriegszeiten wie alle anderen Betriebe zur Produktion von Munition und anderen Rüstungsgütern verpflichtet und eroberte in der Wirtschaftswunderzeit mit Schiebedächern und Autoheizungen vom Würmtal aus den internationalen Markt.
Nicht zuletzt hatte die Eröffnung der Bahnstrecke von München nach Starnberg im Jahr 1854 das Leben in Gauting entscheidend verändert. Im Bahnhofsgebäude gab es neben dem Personenschalter einen eigenen Schalter für den Güterbetrieb. Die Produkte aus der Papierfabrik, die in Gauting hergestellten Zigarren der österreichischen „Tabakregie“ und die Maschinen aus dem Alfawerk wurden mit der Bahn verschickt.
Mit einigen Jahren Verzögerung im Vergleich zum Starnberger See setzte dann auch in Gauting der Fremdenverkehr ein: Grund dafür war die Entdeckung einer Schwefelquelle im Jahr 1872. In der alsbald eröffneten „physikalisch-diätischen Kuranstalt“ wurde neben Blutarmut und Rheumatismus auch die Neurasthenie behandelt: Die große Erschöpfung war im Fin de Siècle die Modekrankheit der feinen Gesellschaft.
Wer in der Heilanstalt selbst kein Zimmer mehr bekam, mietete sich in einem der zahlreichen Gasthäuser ein. Die hochtrabenden Pläne für „Bad Gauting“ gipfelten in einem stattlichen, ja beinahe mondänen Bahnhofshotel und wurden 1906 vom Versiegen der Quelle sehr schnell wieder zunichtegemacht.
Krause zeichnet in seiner Dokumentation die Geschichte Gautings nach. Durch die Lage an der Würm mag diese einige Besonderheiten aufweisen. Die beschriebenen radikalen Veränderungen von Lebenswelten innerhalb von knapp hundert Jahren aber haben auch andernorts stattgefunden und machen das reich bebilderte Buch nicht nur für Gautinger interessant. Erhältlich ist es für 30 Euro in der Buchhandlung Kirchheim sowie im Theaterbüro im Bosco.