Vogelgezwitscher, erzeugt auf einer winzigen Flöte, dazu ein sanft einsetzendes Piano, das wiederum ein vielgestaltiges Schlagwerk hervorlockt und gemeinsam zu pochendem Leben erwacht: „Myriad“ lautet das Titelstück der jüngsten CD des ungewöhnlichen Duos Chris Gall und Bernhard Schimpelsberger – zweier Musiker, die sich hier ausschließlich dem Dialog von Klavier und Percussion widmen. Überwiegend Eigenkompositionen bevölkern dieses im Studio des Bayerischen Rundfunks aufgenommene Werk, das nach zwei Jahren des coronabedingten Wartens nun endlich auch im bosco präsentiert werden konnte. Formale Bestandteile sind ein neoklassischer Klavier-part, den Chris Gall mal monotonal, mal mit romantischer Motivik einbringt, sowie das mit spektakulärem „Besteck“ erarbeitete perkussive Gegengewicht Bernhard Schimpelsbergers: Der sagt zwischendurch, es gehe ihm „um die Inspiration durch andere Kulturen“ und spannt den Bogen von der hochkomplexen indischen Rhythmussprache Konnakol zum spanischen Flamenco. Der Öster-reicher Schimpelsberger hat sowohl in Indien gelebt als auch in Spanien und weiß zu erzählen, dass „Zigeuner aus Rajastan“ diese ihre rasende Vokalistik nach Europa brachten. Wie zum Beweis enthält das Programm des Abends das Stück „Segeriyua“, einen spanischen Walzer im doppelten Dreivierteltakt und dennoch monotonem Anschlag bei dauergetretenem Pedal.
Für das „Myriad“-Projekt bedeutet diese kulturelle Würzmischung einen spannenden Austausch zwischen Tastenanschlag (Chris) und „Takka-tikki-ta“ (Bernhard), ein mäanderndes Spiel der Kräfte, das trotz des mitunter wilden Geschehens zu jedem Zeitpunkt den Regeln der Kompositionslehre unterworfen bleibt. Gall/Schimpelsberger sind offensichtlich stark am Räderwerk der musikalischen Mechanik interessiert und erzeugen entsprechende Entwürfe wie „The Wheel“ – Pate gestanden sein dürfte dabei kein Geringerer als John Cage, den das Duo mit „In A Landscape“ (1940) zitiert: „Cage hat Spaß daran gehabt, das Publikum zu verstören – manchmal mit mehrminütigen Pausen“, erzählt Chris Gall. Die Bearbeitung des Originals reagiert publikumsfreundlich mit einem „Eindampfen“ von neun auf fünf Minuten Länge, die Noten ineinander verschachtelt. Dann aber wird es erneut spektakulär im Sinne des Wortes: Schimpelsberger Percussion-Versuchslabor, von der Beleuchtung (Markus Sternagel) ganz wunderbar in Szene gesetzt, bringt ein wellenformiges Holzinstrument zum Vorschein, das „La Ola“ heißt, in einer Stuttgarter Manufaktur kreiert wurde und sich laut ihrem Anwender „noch im Prototyp-Stadium“ befindet. Das Ergebnis ist jedenfalls ein sehr abwechslungsreicher Trommel-Output irgendwo zwischen Bongo und Cajon. Doch das sollte nur der Auftakt sein für weiter Atemberaubendes: „Inner Perspectives“ beschäftigt sich musikalisch mit dem reinen, „kindlichen Zustand“ der Seele, den man als schöpferischer Mensch so gerne zurückhaben möchte und doch nur schwer erlangt. Wo ist sie nur, die ersehnte Unschuld?
An dieser Stelle des Abends streuten Gall/Schimpelsberger jeweils bravouröse Soli ein – Gall ein pianistisches Parforcestück, das sein Leib- und Magen-Komposition zu sein scheint, Schimpelsberger ein Wunderwerk aus Konnakol und Schlagwerk-Labor: „Drückt das Leben aus“, meint der Wahl-Inder lakonisch kommentierend, als wäre das alles ganz alltäglich. Zum Ende hin dann noch Galls schöne Studie für Klavier namens „Poem On A Typewriter“ sowie die Hommage „Yorke´s Guitar“, der er schon zusammen mit Mulo Francel zu einiger Popularität verholfen hat. Das geradezu angefixte, enthusiastische bosco-Publikum ließ die beiden „Myriad“-Helden nicht ohne zwei Zugaben von der Bühne. Das allerletzte Wort hatte aber wieder der zwitschernde Vogel.