Mit einem kurzen Signalton und einer Triggerwarnung, die vor Wörtern und Inhalten wie dem „Doppelwumms“, Höcke und Gendern warnt, kündigt sich Christian Ehring selbst von hinter der Bühne an, um dann unter tosendem Applaus letztere zu betreten. Bei sich trägt er einige Bücher, die er auf einem Stehtisch ablegt, er habe sich schließlich gut vorbereitet auf den Abend. Und sofort entspinnt sich sein Programm über die aktuellen politischen Themen, von internationalen Krisen bis hin zu Lokalmeldungen, über momentan geführte Debatten bis hin zu kleinen Ausblicken in die Zukunft. Die aktuelle Lage und die Schnelligkeit momentaner Geschehnisse erfordere Spontanität, und er sei ja schließlich ein spontaner Mensch, er brauche dafür eben nur ein bisschen Zeit.
Von einem der deutschesten Worte überhaupt ausgehend, der Elementarschadenversicherung, betrachtet Ehring die Aktualität einer Debatte über den Klimawandel, dessen Auswirkungen uns immer deutlicher erscheinen. Und nicht nur seine Tochter habe dazu beigetragen zu erkennen, dass Klimaaktivisti, wenn auch teilweise als Klima-RAF diffamiert, doch effektive Arbeit geleistet haben, weil sie gestört und somit das Thema in die Mitte des öffentlichen Diskurses gerückt haben. Auch die Kriege in Gaza und der Ukraine werden von Ehring untersucht. Insgesamt stellt sich das Programm die Frage nach der aktuellen Lage unserer Welt - „Stand jetzt“ ist der Titel des Abends und auf der Suche nach demselben stellt sich Christian Ehring Fragen nach unseren Debatten, unserem gesellschaftlichen Verhalten und unseren Reaktionen auf unsere politische Welt.
Kernstück des Programms sind dabei auch immer wieder seine beiden Nachbar:innen Chanti und Rolf, die sich den Schwierigkeiten aktueller Debatten entziehen, indem sie mehr Yoga machen und auf das Land ziehen wollen, das sei ihr „learning“, welches ihr „mindset“ komplett verändert habe. Aber nicht nur die Nachbar:innen zittern, wenn es um die politische Lage geht, auch die ganz großen Politiker:innen sind im Angesicht von aktuellen Krisen wehrlos: unterlassen wir die Hilfe der Ukraine, werde Putin bei einer totalen Annexion vielleicht noch größenwahnsinniger, es gäbe einen Atomkrieg, alle tot; würde eine totale Unterstützung den Westen in Putins Augen als Kriegspartei darstellen, gäbe es einen Atomkrieg, alle tot - beides würde sich am Ende für Olaf Scholz negativ auswirken - in den Umfragen. Ehring wolle auf keinen Falle tauschen.
Insgesamt beweist sich Christian Ehring in seinem Programm als reflektierter, politischer Mensch, der sich mit den ganz aktuellen Fragen unserer Zeit auseinandersetzt, offen und unvoreingenommen. Dadurch bekommt sein Programm eine Modernität, die man in vielen anderen Kabarett-Programmen vermisst. Würde man sich manchmal wünschen, dass Christian Ehring dabei auch die ein oder andere tatsächliche Aussage trifft oder konkrete Meinung äußert? Bestimmt. Ist dies aber seine Aufgabe? Auf keinen Fall. Gerade der Ambivalenz und Vielschichtigkeit, die ein Großteil der aktuellen Debatten mit sich bringt, wird hier angenehm Platz geboten und diese in all ihrer Schwierigkeit differenziert anerkannt, angenehm in einem Zeitalter, in dem Diskussionen sich oft zu einem „entweder - oder“-Kampf entwickelt haben, der den Inhalten derselben nicht mehr gerecht wird. Während des Programms bespricht Christian Ehring Themen, derer er sich entweder bisher sicher, oder eben ganz unsicher gewesen sei, und wechselt auf der Bühne nach witzigen bis absurden Reflexionen seine Meinung, was den oben gemachten Punkt unterstreicht. Nur seine Meinung zu Hunden ändert sich dabei kaum, denen er doch eher skeptisch gegenüber stehe.
Christian Ehring begeistert das Publikum bis zum Ende mit seinen wortreichen und klugen Beobachtungen des Zeitgeschehens, beispielsweise der deutschen Leitkultur (es wird gekärchert und die 1,60 Euro Trinkgeld zusätzlich zur Rechnung ganz fair aufgeteilt), zur Rolle der AfD in der morgigen Europawahl und Ingwer, die alles könnende, unsympathische Streber-Knolle. Dabei beweist der Kabarettist sein perfektes komödiantisches Timing, seine geistreiche Wortgewandtheit und nicht zuletzt auch seine musikalische Begabung am Klavier, denn immer wieder setzt er sich daran und lockert mit einem Leitmotiv und auch einigen eigenen Songs sein Programm auf. Ein kurzweiliger und vielseitiger Abend!