Es tut so gut, in Zeiten wie den gegenwärtigen einen Abend mit Christian Springer verbringen zu können, der einfach mal ein paar Dinge auf seine unnachahmliche Art gerade rückt. Die Sache mit der Spaltung der Gesellschaft beispielsweise. Überall wird sie beschrieben, beschworen, herbeigeredet, so dass nicht nur an Stammtischen die Meinung. vorherrscht, Teil einer gespaltenen Gesellschaft zu sein. Aber ist das wirklich so? fragt Springer sich und das Publikum, oder haben wir es einfach verlernt, einmal auszuhalten, dass es zu verschiedenen Tatbeständen nun mal unterschiedliche Meinungen gibt? Natürlich ist es einfacher, für jedes Phänomen eine Schublade zu haben, in die man das Beobachtete und gleich auch jene, die das Beobachtete kommentieren, hineinstecken kann. Doch so einfach ist es eben nicht im Leben. Da lagen eines Tages bei Christian Springer zwei Konzertkarten für ein Helene-Fischer-Konzert im Briefkasten - Freikarten, wohlgemerkt, da es sich um ein gigantisches Open-Air-Konzert in Springers Nachbarschaft handelte und er als Anwohner für die möglicherweise entstehende Auto- und Lärmbelästigung eine kleine Entschuldigung bekommen sollte. Da kann man doch nicht hingehen, erklärten Freunde. Helene Fischer! Wer zu den Guten gehört, geht zu den Stones.
Was nun folgte, war eine wunderbar mäandernde Geschichte über Open Airs und Rockmusik im Allgemeinen, über Rockstars in den Siebzigern und ihre Angewohnheit, Fernseher aus Hotelfenstern zu werfen - geschlossenen Hotelfenstern, versteht sich - bis hin zu den Rolling Stones und ihrem revolutionären Image, das auch auf ihr Publikum abfärbte. Schließlich mündete die Geschichte in eine beinahe vergessene Begegnung zwischen Mick Jagger und Leni Riefenstahl, welche im Jahr 1974 bei ihrem letzten Auftrag als Fotografin ausgerechnet den Stones-Frontman ablichtete, woraufhin zwischen Jagger und Riefenstahl sich bis zu deren Tod beinahe so etwas wie eine Freundschaft entwickelte. Viele Jahre später auf diesen Kontakt angesprochen, gab Mick Jagger vor, sich an Leni Riefenstahl nicht mehr erinnern zu können. Leni Who? „Und das“, sagt Christian Springer, „hab ich ihm übel genommen.“
Denn das mit dem Vergessen geschieht schnell. Wer erinnert sich noch an die Diskussionen um die Gurtpflicht in den Siebzigern? fragt Springer und hilft der Erinnerung auf die Sprünge. Erinnert daran, wie der ADAC auf die Freiheit, selber zu entscheiden, verwiesen. habe und wie die Autoindustrie befürchtet habe, an einer Verpflichtung zum Einbau von Sicherheitsgurten zugrunde zu gehen. Bekanntlich hat die Autoindustrie das gut überlebt, und auch die Autofahrer und Autofahrerinnen überleben, seit sie sich per Gesetz anschnallen müssen, die Teilnahme am Straßenverkehr deutlich länger.
Es sind diese in großartig schnodderig vorgetragene und gleichzeitig exakt durchkomponierte Geschichten verpackten Anmerkungen zum Menschlichen, Allzumenschlichen, die Christian Springers Programm „nicht egal“ zu einem hochaktuellen, sehr klugen Kommentar zur Gegenwart machen. Denn ebenso wenig, wie die einen immer die Guten und die anderen die Falschen sind, ebenso wenig kategorisch lässt sich einteilen, wer auf der richtigen Seite steht und wer auf der falschen - weder in Schlagzeilen noch in Talkshows. Vielmehr geht es darum, im richtigen Moment hinzuschauen, wie das Beispiel von der zum Kochen gebrachten Milch in der Studentenbude zeigt: man setzt sich, während die Milch auf der heißen Platte steht, besser nicht an den Schreibtisch, um zu lernen. „Daneben stehen und aufpassen“, lautet Christian Springers Rat gegens Überkochen-Lassen, Und das ist nun wirklich „nicht egal“.