Wer alles weiß, kann lange leben, dachte der Fuchs. Aber Wissen allein ist nicht alles, schon gar nicht für einen Fuchs, der am Ende eines abenteuerreichen Lebens voller List und Lust seinen messerscharfen Verstand verliert. Dabei wusste er so viel: wie man mit dem Taucherbrillentrick den Hunden des Jägers entkommt; wie man einem Schaf das Fell abzieht, ohne dass es das merkt; wie man aus dem Hühnerstall unbemerkt ganze Paletten voll Eier klaut und damit mirnixdirnix in den Bau zurückkommt. Er wusste so viel, dieser alte kluge Fuchs, dass er zum Helden der jungen Füchse wurde, zum Zorro des Waldes, zum Star. Doch dann verliert er sein Wissen und weiß immer weniger. Erst weiß er nicht mehr, welcher Wochentag ist. Dann vergisst er den Weg nach Hause und dass man nach dem Zähneputzen mit Wasser gurgelt. Zu Schluss hat er vergessen, dass er ein Fuchs ist. Und da beginnt die Sache, gefährlich zu werden. Wenn nicht die jungen Füchse gewesen wären, die nun selber Helden sein müssen, wer weiß, was die Hunde des Jägers mit dem alten zotteligen Zorro getan hätten…
„Vom Fuchs, der den Verstand verlor“, heißt die Produktion der Dresdner Compagnie Freaks & Fremde. Theater für alle Sinne und jedes Alter: zur Livemusik von und mit Frieder Zimmermann spielen, singen, tanzen Sabine Köhler und Heiki Ikkola eine prall poetische Geschichte vom Altern und Vergessen auf dem Drahtseil zwischen Melancholie und feinem Humor. Ohne dabei jemals in die Gefahr des Absturzes zu geraten, halten sie die Balance zwischen diesen beiden Polen, nähern sich gegen Ende immer mehr der Melancholie an und machen doch Mut zu einem Leben jenseits der Rationalität.
Die Compagnie gestaltet die Geschichte als einen Bilderreigen aus Erinnerungen des Fuchses an seine vielen Abenteuer und aus Momenten des Alltags mit dem Vergessen. Da steht eine quer über die Bühne gespannte Wäscheleine, an der Kalenderblätter mit Klammern aufgehängt sind, für das Vergessen der ordnenden Abläufe von Wochentagen. Da hängt während des ganzen Stücks ein überdimensionales altertümliches Ziffernblatt über der Szene, wird mal durch Projektion zum Fluss, in dem der Fuchs sein Lebtag gerne badete, wird zum Mond und zur Sonne, wird dann wieder zum klassischen Sinnbild der verrinnenden Zeit. Eine Reihe von Fuchsköpfen, nebeneinander aufgesteckt über Percussion-Holzklötzen, wird zum Chor der aufgeregten jungen Füchse, die - von Heiki Ikkola trommelnd getrieben - ihrem Helden folgen. Drei Hundeschädel, auf dem Kopf und den Händen von Sabine Köhler, werden zur jagenden, kläffenden, kuschenden Meute. In die Rolle des alten Fuchses selber schlüpfen die beiden Spieler abwechselnd. Ein Dreissiger-Jahre-Schlägerkäppi auf dem Kopf und einen alten braunen Pelzmantel über den Schultern, schleichen, tänzeln, springen sie über die Bühne, im nebelgrauen Licht einer Martin-Scorcese-Szenerie, zum Sound eines Mafiafilms. Gegen Ende tritt der ausgestopfte Fuchs, der schon die ganze Zeit über auf einem Podest am Proszenium steht, in den Vordergrund, steht für die festgehaltene Erinnerung, die sich gegen die Vergänglichkeit stemmt.
All die vielen feinen, besonderen Elemente, die den Charakter dieser Inszenierung (entwickelt von Köhler und Ikkola, Mitarbeit Regie: Rüdiger Pape) so nachhaltig prägen, sprechen möglicherweise in ihrer Gesamtheit die älteren Zuschauer ein bisschen mehr an, doch auch Kinder kommen bei dem vorherrschenden Rhythmus und dem Humor gut auf ihre Kosten. Erinnern werden sich später alle noch daran.