Was für ein schöner Vergleich, nachdem glücklicherweise keine Entscheidung für die eine oder andere Besetzung getroffen werden muss: Innerhalb von wenigen Wochen konnte man im Großraum München Johann Sebastian Bachs letztes Werk „Die Kunst der Fuge“ auf dem Cembalo (wie es Andreas Skouras beeindruckend im Nationalmuseum tat) oder in einer spannenden Bearbeitung und Überschreibung von Reinhard Febel für zwei Klaviere (Taal/Groethysen) in der Akademie der schönen Künste hören. Und nun gespielt von einem Streichquartett!
Bach hat alle „Contrapuncti“, Kanons und die abschließende, unvollendete Fuge in Partitur geschrieben, wohl auch zur besseren Lesbarkeit der komplizierten Polyphonie, aber auch weil dies seinerzeit üblich war für „gelehrte“ Werke. Daraus lässt sich freilich weder schließen, ob Bach dieses „Studien-Werk“ für ein Tasteninstrument vorgesehen hat, noch das Gegenteil. Und dann ist da das Problem der unvollendeten Fuge: Muss man sie zu Ende komponieren, aber wie? Oder soll man bei einer Aufführung dort aufhören, wo mitten in der Verarbeitung des (dritten) Themas mit den vier Tönen, die Johann Sebastians Nachname entsprechen (also dem berühmten, von vielen Komponisten zitierten b-a-c-h) die autographe Partitur abbricht. Außerdem danach noch, wie von Bachs Söhnen im Erstdruck publiziert, den Choral „Wenn wir in höchsten Nöthen sein“ (BWV 668a)?
Das großartige Cuarteto Casals, vor 25 Jahren an der Hochschule in Madrid gegründet, entschied sich für eine Vollendung der Fuge und den Choral als Abschluss von anderthalb ungemein reichen und erfüllenden pausenlosen Stunden, die wie im Flug vergingen. Denn Vera Martínez Mehner, Abel Tomàs Realp, Jonathan Brown und Arnau Tomàs Realp ließen den vier- (manchmal, wie in den „Canons“, auch nur zwei-) bzw. dreistimmigen Satz nie akademisch klingen. Vielmehr gelang ihnen bei höchster Präzision von Artikulation und Intonation die Quadratur des Kreises aus polyphoner Durchsichtigkeit im Fugen-Gewebe mit einer herrlichen Klarheit und Schönheit des „Singens“. So wurde klingend zum Ereignis, wie perfekt Bach bei aller Komplexität der polyphonen Verschränkungen in jedem Stück eine klare Musik-Dramaturgie verfolgte, und das nicht nur im tänzerischen Contrapunctus VI („Im Stylo Francese) oder dem rhythmisch/metrisch so prägnanten Contrapunctus XI.
Man lauschte überdies gebannt einem feinen Dialogisieren, wann immer nur zwei aus dem Quartett sich einem der Kanons widmeten. Sie wurden hier nicht am Ende, wie in der Partitur, dargeboten, sondern der Abwechslung halber paarweise nach den erste vier und weiteren acht Contrapuncti“. Nach diesem Abend möchte man „Die Kunst der Fuge“ jedenfalls eher nicht mehr auf einem Cembalo hören, allenfalls vielleicht auf einem modernen Konzertflügel, bei dem ein ähnlich räumlicher und auch, mit Verlaub, sinnlicher Klang aus Haupt- und Nebenstimmen möglich ist.
Großer, ein wenig erschöpfter Beifall für ein lustvoll gelungenes Exerzitium!