Ist das eine Baustelle? Um diese Uhrzeit? Am Anfang lässt es sich noch weghören, doch dann wird es immer lauter. Klirrend, klappernd, rasselnd nähert sich etwas, später werden auch Silben in einer fremden Sprache vernehmlich. Irritiertes Kichern im Publikum. Doch spätestens jetzt lässt es sich nicht mehr ignorieren: Die Frau, die mit Bierkrügen und Besteck Lärm macht, ist im Saal, geht die Wände ab. Der Auftritt von Erika Stucky hat etwas von einem Ritual. Hier wird Schwermut ausgetrieben, mit Witz, Gesang und einem in seiner fiebertraumartigen Originalität umwerfenden Bühnenprogramm.
Eine rote Pferdedecke als Rock umgebunden, bringt sich die Künstlerin gleich selbst ins Spiel. Eine sprechsingend vorgetragene Erinnerung fungiert als Schlüssel zum Kosmos „Stucky“, der an diesem Abend entwickelt wird. Geboren in San Francisco, wollte das Mädchen Hula-Tänzerin werden: „I’m gonna make everyone happy“, sagt sie. Die Familie zieht ins Wallis, dort sagt ihr die Lehrerin, als sie von den Ambitionen der neuen Schülerin erfährt, knapp „Hör auf mit dem G’seich“. Die Anekdote steht für vieles. Für Erika Stuckys Gesangskunst etwa, die vordergründig eine aparte Mischung aus Jazz und Jodeln ist, für ihren Sprachwitz, der US-amerikanisches Englisch und Schweizer Hochdeutsch wild durcheinanderwirbelt, aber auch für die innere Zerrissenheit zwischen der Weite Nordamerikas und der kleinen Schweiz. Hinter Stucky und ihrem Gitarristen Oli Hartung bewegen sich Engadiner Ziegen in Zeitlupe.
Dabei wechseln in Stuckys artistischer Vision die Gedanken so schnell wie die Register ihrer Stimme, etwa wenn sie den Country-Klassiker „I Wanna Be a Cowboy’s Sweetheart“ stilecht jodelt und es dennoch fertigbringt, ironische Kommentare einzuflechten. Ihre eigene Komposition „Do Like the Good Woman Do“ bespielt dasselbe Thema und dieselbe Doppeldeutigkeit: sich an seiner Originalität zu freuen, dabei aber zu wissen, dass Erwartungen unterlaufen werden, wenn man sich zu offenkundig an der eigenen Originalität freut. Und um diese Originalität weiß Stucky gut bescheid. Sie sei wie Obelix, der in den Zaubertrank gefallen ist – ihr müsse man kein LSD mehr geben, sie nimmt die Welt ohnehin etwas anders wahr als die meisten Leute. Sagt sie und schiebt einen Stuhl über die Bühne: „Haben Sie gehört, wie gut das tönt?“, fragt sie ins fast voll besetzte Bosco. Anschließend wird sie Schattenspiele mit den Ziegen spielen, die immer noch im Hintergrund herumturnen.
Und so schnell sie von einem mit ihrer schönen, leicht nasalen Stimme gesungenen Songs in den nächsten schmilzt, so schnell kommt sie von einer Beobachtung zur nächsten. ‚Brot haben‘ ist ein Ausdruck im Schweizerdeutschen, erklärt sie. Er bedeute so viel wie ‚Chancen haben‘. Darum gehe es auch in ihrem nächsten Lied („I Can’t Compete“) , das sie zu einem eigenen Kurzfilm vorträgt. Erika Stuckys Kunst ist höchst persönlich und gerade darum so dringlich. Hier setzt sich eine ein, ohne Wenn und Aber, macht sich verletzbar, indem sie die eigenen Brüche in der Biographie mit Schwung auf die Bühne bringt. Zum Schluss noch mit Klängen, die Prince und Irving Berlin ineinanderschieben. Das kann nur Erika Stucky und dafür wird sie gefeiert.
Hula-Tänzerin ist sie nicht geworden, aber die Leute macht sie trotzdem glücklich. Sie danken mit lebendigstem Beifall.