Tja, wofür soll man sich als Kritiker entscheiden, wenn man Florian Schroeder und sein seit 2014 immer wieder aktualisiertes Programm „Entscheidet Euch!“ gesehen hat? Soll man die begnadet guten Parodien loben, die der gebürtige Lörracher auf Lager hat, oder soll man eher die Prediger-Attitüde geißeln, in die gerade ernst zu nehmende Kabarettisten leicht mal geraten? Bei seinem ersten von zwei aufeinanderfolgenden bosco-Abenden zeigt der im besten Sinne vielseitige Schroeder von beidem so einiges: Nähert sich dem unbekannten Gauting via S-Bahn und mit routiniert lokal gefärbtem Einstieg, legt dann los wie einer dieser Motivationstrainer, die den Leuten für viel Geld erzählen, was die sowieso mindestens schon ahnten, aber nicht so schön formulieren konnten: „Vielleicht haben die Menschen nur zu viele Optionen?“, lautet die eigene Steilvorlage, die Schroeder in den kommenden zweieinhalb Stunden treffsicher verwandeln wird. Der 37-Jährige, der bereits mit 14 bei „Schmidteinander“ als Parodist sein TV-Debüt erlebte, hat bis heute die Pose des vorlauten Klassenprimus nicht so ganz abgelegt – warum auch: Er liefert zum Thema „Entscheidungsfindung“ etliche messerscharfe Analysen und denkt Dinge zu Ende, die andere nicht mal anzudenken wagen. Kostprobe: „Ich bin für eine Koalition von CDU und AfD – nach drei Wochen würde sich die AfD freiwillig selbst auflösen!“ Interessanter Vorschlag: Angela Merkel hat schließlich schon so manchen „in Grund und Boden koaliert“.
Schroeder spricht natürlich auch Unbequemes aus, redet von „abgewählter Scheinheiligkeit“, wenn er den Erfolg eines Donald Trump zu erklären versucht. Knöpft sich den neuen SPD-Messias Martin Schulz vor und spricht „Chulz“ gleich mal das notorische „S“ ab, den Anfangsbuchstaben aller sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten seit Schmidt. Da reibt sich einer an allzu gewissen Gewissheiten, stellt bohrende Fragen und beantwortet sie im Seminaristen-Stil gleich selber. Hier wechselt Schroeder auch immer wieder vom leichtfüßigen Kabarett zum ernsten, geradezu schwerlastigen Statement – und wartet dann darauf, dass man seine kluge Erkenntnis auch mittels Spontan-Applaus zu teilen bereit ist. Das wirkt dann leider wie das Beifallheischen eines altklugen Strebers, der wohlkalkuliert allzu offene Türen einrennt – die ironische Distanz geht für einen Moment verloren, auch wenn das Gesagte ins Schwarze trifft. Natürlich möchte auch der Kabarettist geliebt werden, doch sollte er sich nicht ständig beim (ohnehin geneigten) Publikum vergewissern wollen, ob er gerade „richtig“ liegt und das Volk der eigenen Intelligenz-Demonstration zu huldigen bereit ist.
Das Fakten- und Statistik-Bombardement, das der Wahl-Berliner auf die Leute loslässt, ist beeindruckend, und was er daraus destilliert, noch mehr: Die angeblich 600 islamistischen „Gefährder“ in Deutschland bringt er in bizarren Kontext zu jenen 70.000 Frühversterbenden pro Jahr, die zu viel gesoffen, zu viel gefuttert oder sonstwie zu riskant gelebt hatten – Fazit: Fast keine Gefahr. Schlimmer als der militante Islamismus sind für Schroeder „Drohnen-Eltern“ (also die lautlose Weiterentwicklung der „Helikopter-Eltern“) sowie die vegan lebenden „Gemüse-Taliban“ und sonstige Humorlosigkeiten. Dann wird es aber auch bei ihm wieder ernst: „Liebe ist die Fähigkeit, Ähnliches in Unähnlichem zu erkennen“, zitiert er Adorno gleich zwei Mal. Man merkt: Da will einer wirklich kluge Gedanken über die Rampe bringen und nicht bloß unterhalten. „Ich habe schon in der Schule immer alles kommentiert, außer in der großen Pause“, bekennt sich Schroeder zu den zwanghaften Seiten seiner Persönlichkeit. Gottseidank gönnt er sich und dem erschöpften Publikum gegen Ende hin ein entspannendes Stück parodistischer Blödelei in Form einer bravourösen Markus-Lanz-Nummer mit Gästen: Winfried Kretschmann, Joachim Gauck, Angela Merkel, zuvor schon Frank-Walter Steinmeier („Ist Gerhard Schröder auf Valium“).
Sofort ist im Saal zu spüren, wie dankbar die Leute sind, aus dem „Optimierungscoaching“ entlassen zu sein, auch wenn das noch so luzide war. Am Ende möchte man sich wie der ebenfalls bei Schroeder zu Wort gekommene Großkritiker Marcel Reich-Ranicki lispelnd dafür entscheiden, „daff föne Programm gampf gut“ gefunden zu haben. Einziger Makel: womöglich eine Prise Oberlehrer zu viel? Thomas Lochte