„Um Himmels Willen, beeil dich doch!“ Die Aufforderung durchhallt das bosco-Foyer, und ein paar zu spät gekommene Besucher, die gerade die Treppe hinaufeilen, fühlen sich ertappt. „Wir kommen zu spät!“, hören sie von oben und eilen mit gesenkten Köpfen auf die letzten freien Stühle zu. „Wir kommen zu spät zu Caruso!“ Und da fließt er: der Amazonas. Poetische Flusslandschaften, Teil vier.
Mit dem „Fitzcaraldo“-Drehbuch von Werner Herzog beginnt es, einem Drehbuch gemäß in fast szenischer Form: Gerd Holzheimer und, als Zitatorin des Abends, seine Tochter Clara Holzheimer, Dramaturgin und aktuell mit einem Theaterprojekt unter dem Titel „Neverland“ am Münchner Hauptbahnhof unterwegs auf der Suche nach Sehnsuchtsorten, kommen aus dem Publikum heraus auf das Podium, um nun auf gewohnte Weise den Sehnsuchtsort Amazonas in literarischen Zeugnissen zu erkunden.
Literaturwanderer Holzheimer hat seine ganz persönlichen Erfahrungen mit dem vor allem die brasilianische Landschaft prägenden Fluss. Da sind zum einen die Fotos, die er vor Jahren nach tagelangem Hochwasser an den Ufern der Würm gemacht und diese später Bekannten gezeigt hat – nicht wenige von diesen glaubten auf den Bildern die Ufer des Amazonas zu erkennen. Und da ist ferner eine Ausstellung im ehemaligen Kloster von Seeon, in der ein Klepper Faltboot zu sehen war, von dem es hieß, damit sei Herbert Rittlinger einst den Amazonas hinuntergefahren. Rittlingers Buch „Amazonasfahrt“ steht folgerichtig auch – nach „Fitzcaraldo“ – am Anfang dieser literarischen Amazonasreise. Doch er ist nicht der einzige Zeuge einer tiefen kulturellen Verbundenheit zwischen Bayern und Brasilien, eine Tafel in ebenjenem Kloster Seeon offenbart es: niemand Geringeres als Amelie von Leuchtenberg, bayrische Prinzessin und spätere Gattin des brasilianischen Kaisers, war hier als Hausherrin zu nennen.
So steht fortan die bayrisch-brasilianische Verbundenheit wie ein Kompass über der literarischen Flussreise. Denn auch Therese von Bayern bereiste das ferne Brasilien, in ihrem Buch „Ich habe mich vor nichts im Leben gefürchtet“ berichtet sie u.a. davon. „Sogar ein Gautinger Künstler ist dort gewesen“, berichtet Gerd Holzheimer, „Leo Putz war in Brasilien, um für sein Malen andere, besondere Inspirationen zu erfahren.“ Die bayerischen Forscher Martius und Styx haben dort ihre Expeditionen durchgeführt. Und wie immer sind es die persönlichen Erlebnisse Holzheimers, die der literarischen Flusslandschaft – wie auch anderen, vorangegangenen topographischen Exkursionen – eine besondere Würze verleihen. So war er einst auf einem Amazonasschiff tätig, beauftragt mit dem Erkunden von Landgangsmöglichkeiten für die Passagiere und hat auf einer solchen Mission einen besonderen Moment erlebt: in einem Boot, aus dem die Köpfe von drei erst frisch terminierten Krokodilen hingen, saßen ein Ureinwohner des Urwalds und dessen Frau, die einen Säugling an der Brust hatte; die zu diesem Landgang herbeigeholten Schiffspassagiere waren von dem Anblick so entzückt, dass sie sofort zu fotografieren begannen – ein Vorgang, den der Landgangserkunder nicht sonderlich goutierte. Jedoch wurde derselbe bald aufs Beste konterkariert, als die stillende Mutter ihrerseits nach einer Digitalkamera griff und die fotografierenden Weißen ins Visier nahm. Amazonas zwischen den Linsen.
Gegen solche poetischen Miniaturen hatten es selbst große Namen der Weltliteratur wie Stefan Zweig nicht gerade leicht. Eher noch die Vertreter des brasilianischen Modernismo wie Mario de Andrade, dessen „Macunaima, Held ohne jeden Charakter“ den Absurditäten eines Holzheimerschen Kosmos in nichts nachstehen. Und so geht die Reise weiter und die poetischen Flusslandschaften ziehen vorbei wie Kraniche an einem fast noch hellen Abend. Zum Abschluss geht es im März dann an den Mississippi.