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Veranstaltungsinfo

Mi, 23.11.2022
20.00 Uhr
Literatur

15,00 / 8,00

Regulär / bis 25 Jahre

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Veranstalter: Theaterforum Gauting e.V.

Gerd Holzheimer: Da schau her (Teil 1)

Da schau her: Denkweisen, Horizonte, Utopien. Teil 1 der Literaturreihe mit Gerd Holzheimer.

„Da schau her“ ist in doppeltem Sinne gemeint. Wer es bairisch ausspricht, wird diesen Ausruf mit einer kleinen Melodie zum Ausdruck bringen, voller Verwunderung: „Do schaug hea!“ In dieser Verwunderung kann Erstaunen, auch eine gewisse Abschätzigkeit, ebenso freilich eine Bewunderung ausgedrückt werden. Wer „Da schau her!“ eher hochdeutsch ausspricht, möchte auf gut Neudeutsch ausdrücken: Die sind aber gut aufgestellt! Hätte man sich gar nicht gedacht, was da alles zusammenkommt, im bosco an Möglichkeiten: denkerische, spielerische, immer poetische, die zugleich voller Ernst sind – wenn es einem behagt, mit Lachen die Wahrheit zu sagen (in vollem Bewusstsein, dass es eine Wahrheit nicht gibt, gar nicht geben kann).

Teil 1: Vom Schatten der Erkenntnis

Im Zeitalter gefälschter Nachrichten wird eine uralte Frage wieder dringlich, welche die Menschheit allerdings seit jeher beschäftigt: Was kann ich denn überhaupt sehen? Was nicht? Was kann ich erkennen? Ist das richtig, was ich wahrnehme? Macht mir jemand etwas vor? Oder mache ich mir sogar selber etwas vor?

An einigen Beispielen aus der Geistesgeschichte kann dieser Frage nachgegangen werden. Im berühmten Höhlengleichnis von Platon wird dieses Bild entworfen: Die Menschen können sich gar nicht wirklich  sehen, nur ihre Schatten, von denen sie meinen, das wären sie selbst; dabei sind sie in Wahrheit Gefesselte. Und können sich nicht sicher sein, was Schein ist oder was Sein. Sie wollen gar nichts von einem Befreier wissen, der sie an das Licht, in die Freiheit führen möchte.

Kann uns das Orakel von Delphi weiterhelfen? Seherinnen wie Kassandra? „Du wirst ein großes Reich zerstören“, wird König Krösus (ja, der stinkreiche!) beschieden, aber er denkt nicht daran, dass es sein eigenes ist. Kassandra sagt den Untergang Trojas voraus, aber das will man auch nicht hören. In der Jetzt-Zeit hat Christa Wolf diesen Stoff noch einmal aktualisiert.

Zur Zeit der Romantik wurde der „Dichter“ zum „vates“, zum Seher stilisiert. Novalis feierte gerade seinen 250. Geburtstag. In Krisen sieht er eine Chance zum Umbruch. Was ist davon geblieben?

Im Schein kommt das Sein zur Erscheinung, insofern ist die Welt der Erscheinung auch wieder nicht wertlos. Bildung und Aufklärung tun zwar weh, aber umsomehr not!

Konzeption & Moderation
GERD HOLZHEIMER
Sprecher
HANS JÜRGEN STOCKERL wurde 1958 geboren und absolvierte seine Ausbildung an der Neuen Münchner Schauspielschule. Er ist auf verschiedenen Theaterbühnen und in Film und Fernsehen zu sehen. Seit 1988 ist er zudem Sprecher für zahlreiche Sendeanstalten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Als Sprecher kennt ihn das Publikum aus Radiohörspielen und durch seine Interpretation von Romanen, Spannungstiteln und Klassikern von Friedrich Ani über Nicola Förg bis hin zu Clemens Brentano.

Termine
23.11.2022 Teil 1: Vom Schatten der Erkenntnis
08.02.2023 Teil 2: Vom genauen Hinschauen
08.03.2023 Teil 3: Mit dem Herzen sehen

Nach(t)kritik
Schatten an der Wand
Nach(t)kritik von Sabine Zaplin

Stimmt das wirklich? Nachrichten lassen sich fälschen, Bilder kann man manipulieren, und ganze Reportagen großer Nachrichtenmagazine haben sich schon als reine Phantasie entpuppt. Ist also das, was wir sehen, zum großen Teil „erstunken und erlogen“? Gerd Holzheimer, Schriftsteller, Literaturreisender und -kenner hat sich einmal mehr aufgemacht, die Literatur- und Geistesgeschichte zu einem Phänomen zu befragen, das uns aktuell betrifft: die Frage nach dem Realitätsgehalt im Wahrgenommenen - oder anders gesagt: ist tatsächlich immer wahr, was wir für wahr nehmen?

Der bayerische Ausruf „Da schau her!“ offenbart es: mehr Ausruf der Überraschung als eine Aufforderung zum genauen Hinsehen, kennzeichnet er den Prozess der Wahr-Nehmung immer auch als ein Aufmerksamwerden. Und tatsächlich bestätigt das die digitale Gegenwart: jene Nachrichten, die am schnellsten, stärksten die Aufmerksamkeit vieler wecken, generieren die meisten Klicks und damit die größte Wahrnehmung. Schon allein, um dieses Phänomen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen, lohnt der Blick zurück: war das eigentlich immer schon so, vom Technischen wie Klicks einmal abgesehen?

Gemeinsam mit dem Rezitator Hans Jürgen Stockerl schlägt Gerd Holzheimer einen Bogen von der Antike bis in die Neuzeit, beginnend bei König Krösus, der gleich drei Orakel befragt hat, ob er tatsächlich einen Angriff gegen die Perser wagen solle. Orakel unternehmen gemeinhin einen Blick in die Zukunft und geben das dort Wahrgenommene in poetisch verrätselter Weise als Denksportaufgabe an den Auftraggeber zurück, so dass dieser - je nach Knobelbegabung - das Ergebnis auch falsch deuten kann. Anders verhält es sich bei Sehern und vor allem Seherinnen. Das tragische Schicksal der Seherin Kassandra regt seit der Antike Dichterinnen und Dichter zur Auseinandersetzung mit der Vorhersagbarkeit von Geschehnissen an, berühmtestes Beispiel aus jüngerer Zeit ist der Roman gleichen Titels von Christa Wolf. Hier gönnt Holzheimer sich und dem Publikum einen Blick zurück und erinnert sich an eine Lesung der Schriftstellerin im Starnberger Undosa, wo sie im März 1986 ihre „Kassandra“ vorstellte. Dreieinhalb Jahre später war die DDR, ihr Land, Geschichte - und diesen Ablauf hat so genau wohl kaum jemand vorausgesehen, wie die zu Jahrestagen im Fernsehen zu sehenden zeitgeschichtlichen Dokumentationen immer wieder belegen.

Das womöglich erste Fernseh-Erlebnis in der Geschichte der Wahrnehmung erzählt Platon in seinem berühmten „Höhlengleichnis“, in welchem er die Menschheit gefesselt in einer Höhle verortet, mit dem Rücken zum Höhleneingang, von wo das Licht kommt und so auf die Gefesselten fällt, dass diese Schatten an die Höhlenwand werfen. Alles, was sie sehen können, sind diese Schatten; folglich halten sie diese für die Welt. Und womöglich haben sie damit ja auch Recht (erlaubt die Autorin sich augenzwinkernd zu bemerken). Die Welt ist schließlich alles, was der Fall ist, hat der Philosoph Wittgenstein geschrieben.

Von der Welt zum Fall wird die Wahrnehmung aus der Perspektive der Psychologie und Psychoanalyse, welche ihrerseits insbesondere die Dichterinnen und Dichter der Moderne beinflusst hat. Und so schließt der Abend mit einem Autor, der bereits einige Zeit vor Christa Wolf das Starnberger Undosa von der Seeseite her, aus dem Ruderboot, betrachtet hat: Gustav Meyrink. Dessen „Qualen und Wonnen im Jenseits“ geben einen so vergnüglichen Einblick in eine Gegend gänzlich außerhalb der irdischen Wahrnehmung, dass man nur Shakespeare zustimmen möchte: es gibt eben weit mehr zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit uns träumen lässt.

Galerie
Bilder der Veranstaltung
Mi, 23.11.2022 | © Werner Gruban - Theaterforum Gauting e.V.