Veranstaltungsinfo
Gerd Holzheimer: Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich - Die erotische Kunstkammer
MAN HAT HALT OFT SO EINE SEHNSUCHT IN SICH - DIE EROTISCHE KUNSTKAMMER
Erotik ist für den mexikanischen Schriftsteller und Nobelpreisträger Octavio Paz "Erfindung, unaufhörliche Erfindung, der Sexus ist immer derselbe." Und: "Der Sexus ist die Wurzel, die Erotik der Stiel und die Liebe die Blüte. Und die Frucht? Die Früchte der Liebe sind nicht fassbar. Dies ist eins ihrer Rätsel." „Was wir heute unter Liebe verstehen, hätte in Griechenland etwa bis zur Zeit des Sokrates als Wahnsinn gegolten“, schreibt Helmut Kentler in seinem Taschenlexikon Sexualität - also enthalten wir uns besser jeglicher Definition und geben darin Sigusch Recht: „Das Zählen und Auflisten und Definieren verstümmelt unser Leben, stellt es so unvollkommen dar, wie es tatsächlich ist.“ Kein Stück der Bibel hat so „die Phantasie beflügelt wie das Lied der Lieder", schreibt Klaus Reichert in seiner Neuherausgabe und Übersetzung von Das Hohelied Salomos. Gott sei Dank, „dass bis jetzt noch niemand gelungen ist, dem Lied sein Geheimnis und seinen Zauber zu nehmen - nicht einmal den Theologen.“ "Wir suchen in ihm immer noch das", schreibt Reichert, "was uns, bevor wir etwas 'wussten', elektrisierte, und wir finden es, finden es wieder und wieder, wenn wir, was wir 'wissen' (und was war das schon?) 'vergessen', oder vom Wissen, von der 'Meinung', zu dem zurückgehen, was dasteht: zum Urgrund des Gedichts." Und ist nicht auch der Liebestrunk, den Tristan in Gottfried von Straßburgs Tristan und Isolde nimmt, adäquat zu jenem verhängnsivollen Apfelbiss, der zugleich mit dem "Sie erkannten sich" die Vertreibung aus dem Paradies bedeutete? Vielleicht steht es in Teilen so schlecht mit der Erotik, weil sich die Menschen so wenig erzählen. Im Decamerone erzählen sich die Menschen ununterbrochen, und obgleich man nichts von der Art der Beziehungen der Erzählenden untereinander erfährt, ist alles von einer erotischen Hochgestimmtheit, wie sie sonst kaum je erreicht wird. Kurt Tucholsky lässt ein Lottchen alles erzählen, ohne das sie etwas erzählen will, in der Geschichte Lottchen beichtet einen Geliebten: "Erstens war überhaupt nichts, und zweitens kennst du den Mann nicht, und drittens weil er Seemann war, und ich hab ihm gar nichts geschenkt..." Conclusio: "Kaum hat man mal, dann ist man gleich..." In den von Ödön von Horváth geschilderten Liebesbegegnungen überwiegt freilich oft die Melancholie: „Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich.“ Die Verlängerung von Schwabing ins Isartal lässt uns weiteren großen Liebespaaren begegnen: der „heidnischen Madonna“ und „wilden Gräfin“ Franziska zu Reventlow mit verschiedenen Liebhabern, den realen Vorbildern von Jules und Jim, D.H. Lawrence und Frieda von Richthofen, Rilke und Lou Andreas Salomé - die Nester gibt’s noch, die Vögel sind ausgeflogen, ins Jenseits, ins Himmelreich, tempi passati tempi passati, aber die Texte gibt es noch, mit all den Liebesnestern der Weltliteratur von Sappho, Ovid über Oswald von Wolkenstein zu Shakespeare bis in die Neuzeit.
Erotik ist für den mexikanischen Schriftsteller und Nobelpreisträger Octavio Paz "Erfindung, unaufhörliche Erfindung, der Sexus ist immer derselbe." Und: "Der Sexus ist die Wurzel, die Erotik der Stiel und die Liebe die Blüte. Und die Frucht? Die Früchte der Liebe sind nicht fassbar. Dies ist eins ihrer Rätsel." „Was wir heute unter Liebe verstehen, hätte in Griechenland etwa bis zur Zeit des Sokrates als Wahnsinn gegolten“, schreibt Helmut Kentler in seinem Taschenlexikon Sexualität - also enthalten wir uns besser jeglicher Definition und geben darin Sigusch Recht: „Das Zählen und Auflisten und Definieren verstümmelt unser Leben, stellt es so unvollkommen dar, wie es tatsächlich ist.“ Kein Stück der Bibel hat so „die Phantasie beflügelt wie das Lied der Lieder", schreibt Klaus Reichert in seiner Neuherausgabe und Übersetzung von Das Hohelied Salomos. Gott sei Dank, „dass bis jetzt noch niemand gelungen ist, dem Lied sein Geheimnis und seinen Zauber zu nehmen - nicht einmal den Theologen.“ "Wir suchen in ihm immer noch das", schreibt Reichert, "was uns, bevor wir etwas 'wussten', elektrisierte, und wir finden es, finden es wieder und wieder, wenn wir, was wir 'wissen' (und was war das schon?) 'vergessen', oder vom Wissen, von der 'Meinung', zu dem zurückgehen, was dasteht: zum Urgrund des Gedichts." Und ist nicht auch der Liebestrunk, den Tristan in Gottfried von Straßburgs Tristan und Isolde nimmt, adäquat zu jenem verhängnsivollen Apfelbiss, der zugleich mit dem "Sie erkannten sich" die Vertreibung aus dem Paradies bedeutete? Vielleicht steht es in Teilen so schlecht mit der Erotik, weil sich die Menschen so wenig erzählen. Im Decamerone erzählen sich die Menschen ununterbrochen, und obgleich man nichts von der Art der Beziehungen der Erzählenden untereinander erfährt, ist alles von einer erotischen Hochgestimmtheit, wie sie sonst kaum je erreicht wird. Kurt Tucholsky lässt ein Lottchen alles erzählen, ohne das sie etwas erzählen will, in der Geschichte Lottchen beichtet einen Geliebten: "Erstens war überhaupt nichts, und zweitens kennst du den Mann nicht, und drittens weil er Seemann war, und ich hab ihm gar nichts geschenkt..." Conclusio: "Kaum hat man mal, dann ist man gleich..." In den von Ödön von Horváth geschilderten Liebesbegegnungen überwiegt freilich oft die Melancholie: „Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich.“ Die Verlängerung von Schwabing ins Isartal lässt uns weiteren großen Liebespaaren begegnen: der „heidnischen Madonna“ und „wilden Gräfin“ Franziska zu Reventlow mit verschiedenen Liebhabern, den realen Vorbildern von Jules und Jim, D.H. Lawrence und Frieda von Richthofen, Rilke und Lou Andreas Salomé - die Nester gibt’s noch, die Vögel sind ausgeflogen, ins Jenseits, ins Himmelreich, tempi passati tempi passati, aber die Texte gibt es noch, mit all den Liebesnestern der Weltliteratur von Sappho, Ovid über Oswald von Wolkenstein zu Shakespeare bis in die Neuzeit.