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Veranstaltungsinfo

Mi, 24.02.2016
20.00 Uhr
Literatur

15,00 / 8,00
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Veranstalter: Theaterforum Gauting e.V.

Gerd Holzheimer: Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich - Die erotische Kunstkammer

Kosmos, so lautet der Titel von Alexander von Humboldts Hauptwerk, mit dem Untertitel Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, einem Weltentwurf, in dem er nichts weniger vor hat, als die Welt „en gros und en detail“ in seiner Beschreibung zu versammeln. Das gehört auch zum Prinzip einer Kunstkammer, wie sie in der Zeit der Renaissance entwickelt worden ist: Kosmos auf kleinstem Raum zu verdichten und damit abzubilden. Nach den Abenden über das Christliche Abendland, der Geopoetik der Städte, der Begegnung zwischen Orient und Okzident und den poetischen Flusslandschaften im bosco wird die „Kunstkammer“ der Kunstgeschichte auf eine literarische Veranstaltungsreihe übertragen: der Versuch, eine unüberschaubar gewordene – oder schon immer gewesene – Welt in einem kleinen Modell darzustellen, auf kleinstem Raum, in spielerischer Form, auf höchstem Niveau. Zur Zusammenstellung einer Kunstkammer gehört immer auch schon unabdingbar die unwiderstehliche Lust des Sammlers, alles nur Erdenkliche zu seinem Thema aufzulesen, so auch hier: Nacheinander werden verschiedene Räume einer großen Kunstkammersammlung eröffnet, eine kosmische Kunstkammer, eine komische, eine abgedrehte, eine exotische und schließlich eine erotische. Herzlich Willkommen zur Kunstkammer bosco, der sinnlichen Art, der Welt Poesie abzugewinnen!
MAN HAT HALT OFT SO EINE SEHNSUCHT IN SICH - DIE EROTISCHE KUNSTKAMMER
Erotik ist für den mexikanischen Schriftsteller und Nobelpreisträger Octavio Paz "Erfindung, unaufhörliche Erfindung, der Sexus ist immer derselbe." Und: "Der Sexus ist die Wurzel, die Erotik der Stiel und die Liebe die Blüte. Und die Frucht? Die Früchte der Liebe sind nicht fassbar. Dies ist eins ihrer Rätsel." „Was wir heute unter Liebe verstehen, hätte in Griechenland etwa bis zur Zeit des Sokrates als Wahnsinn gegolten“, schreibt Helmut Kentler in seinem Taschenlexikon Sexualität - also enthalten wir uns besser jeglicher Definition und geben darin Sigusch Recht: „Das Zählen und Auflisten und Definieren verstümmelt unser Leben, stellt es so unvollkommen dar, wie es tatsächlich ist.“ Kein Stück der Bibel hat so „die Phantasie beflügelt wie das Lied der Lieder", schreibt Klaus Reichert in seiner Neuherausgabe und Übersetzung von Das Hohelied Salomos. Gott sei Dank, „dass bis jetzt noch niemand gelungen ist, dem Lied sein Geheimnis und seinen Zauber zu nehmen - nicht einmal den Theologen.“ "Wir suchen in ihm immer noch das", schreibt Reichert, "was uns, bevor wir etwas 'wussten', elektrisierte, und wir finden es, finden es wieder und wieder, wenn wir, was wir 'wissen' (und was war das schon?) 'vergessen', oder vom Wissen, von der 'Meinung', zu dem zurückgehen, was dasteht: zum Urgrund des Gedichts." Und ist nicht auch der Liebestrunk, den Tristan in Gottfried von Straßburgs Tristan und Isolde  nimmt, adäquat zu jenem verhängnsivollen Apfelbiss, der zugleich mit dem "Sie erkannten sich" die Vertreibung aus dem Paradies bedeutete? Vielleicht steht es in Teilen so schlecht mit der Erotik, weil sich die Menschen so wenig erzählen. Im Decamerone erzählen sich die Menschen ununterbrochen, und obgleich man nichts von der Art der Beziehungen der Erzählenden untereinander erfährt, ist alles von einer erotischen Hochgestimmtheit, wie sie sonst kaum je erreicht wird. Kurt Tucholsky lässt ein Lottchen alles erzählen, ohne das sie etwas erzählen will, in der Geschichte Lottchen beichtet einen Geliebten: "Erstens war überhaupt nichts, und zweitens kennst du den Mann nicht, und drittens weil er Seemann war, und ich hab ihm gar nichts geschenkt..." Conclusio: "Kaum hat man mal, dann ist man gleich..." In den von Ödön von Horváth geschilderten Liebesbegegnungen überwiegt freilich oft die Melancholie: „Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich.“  Die Verlängerung von Schwabing ins Isartal lässt uns weiteren großen Liebespaaren begegnen: der „heidnischen Madonna“ und „wilden Gräfin“  Franziska zu Reventlow mit verschiedenen Liebhabern, den realen Vorbildern von Jules und Jim, D.H. Lawrence und Frieda von Richthofen, Rilke und Lou Andreas Salomé - die Nester gibt’s noch, die Vögel sind ausgeflogen, ins Jenseits, ins Himmelreich, tempi passati tempi passati, aber die Texte gibt es noch, mit all den Liebesnestern der Weltliteratur von Sappho, Ovid über Oswald von Wolkenstein zu Shakespeare bis in die Neuzeit.
Nach(t)kritik
Verloren ist das Slüzelin
Nach(t)kritik von Sabine Zaplin

KUNSTKAMMER

 

„Kaum hat man mal, dann ist man gleich“, heißt es bei Kurt Tucholsky. Und wieder ist der Melancholiker unter den satirischen Autoren zum Türöffner hinein in eine Kunstkammer geworden: nach der Komischen und der Abgedrehten öffnet er nun die Erotische. Drinnen sitzen Gerd Holzheimer und Esther Kuhn und zünden die Kerzen am Kandelaber zu einem besonders köstlichen literarischen Menü: es geht um die Sehnsucht und das Verlangen, ums Knistern und Kichern und - ja, auch - ums Kopulieren (das wenig schöne Wort sei dem Stabreim geschuldet, der sich hier einfach mal anbot).

Nun sind Geschichten von und über Erotik, am Tischlein vorgelesen im Kulturtempel, nicht selten meilenweit von jener entfernt. Es empfiehlt sich, die Augen zu schließen und den Spuren zu folgen, die von den Dichtern ausgelegt wurden - den imaginären abgelegten Kleidungsstücken in Form von Versen, Dialogen und kleinen Szenen. Lyrisches perlt da von der Zunge in die Gehörgänge, und manche Metapher lässt mit der letzten Silbe ihre Hüllen fallen.

Die Gästeliste in dieser Kunstkammer ist erlesen: von A wie Achterbusch über Goethe, Horvath, Ringelmatz bis hin zu W wie Walther von der Vogelweide. Sie alle verstehen etwas vom Thema, verdichten ihre einschlägigen Erfahrungen zu Worten. Der Begriff von der Verbalerotik bekommt in diesem Zusammenhang eine ganz neue Bedeutung.

Doch das Erzählen von der Liebe in all ihren Spielarten ist so alt wie die Literatur selber. Das „Hohe Lied des Salomon“ ist da noch das bekannteste Beispiel, gefolgt von den Gedichten der Sappho. Das älteste deutsche Liebesgedicht entstand am Tegernseer und beginnt mit den ebenso schlichten wie deutungsreichen Worten „Du bist min, ich bin din“. Es stammt aus der Zeit, als die Liebe Minne hieß und ein fahrender Sänger keinesfalls seine Liebe der Angebeteten gestehen durfte, denn diese stand in der Regel sozial einige Stufen über ihm und er machte mit seinem Minnesang ohnehin nur einen „Job“, denn die auf den zum Kampfe ausgerittenen Gatten wartende Burgdame wollte unterhalten werden, und schon damals bat der Sänger, wie ein paar Jahrhunderte nach ihn Robby Williams: „Let me entertain you.“ Da ist er dann auch schon: der Zusammenhang zwischen der Lust am Erotischen und dem Bedürfnis nach Unterhaltung.

Das wusste natürlich auch Goethe, der für seine erotischen Eskapaden nicht minder bekannt ist wie für seine literarischen Qualitäten. In dieser Kunstkammer darf er sich auf dem „West-Östlichen Diwan“ ausstrecken wie einige Epochen später sein Kollege Herbert Rosendorf während einer öffentlichen Ehrung auf der Laudatorenbühne (und wie dieser, so war vermutlich auch Goethe „ganz ausgezeichnet am Pinsel“, wie die Rosendorfer-Laudatorin Sabine Campai unfreiwillig kalauerte).

Neben Goethe lümmelt sich auf dem Diwan die „wilde Gräfin“ Franziska zu Reventlow und schwelgt in den lustvollen Schwabing Boheme-Zeiten, und irgendwann gesellt sich auch Uschi Obermaier zu ihnen, um den „flotten Dreier“ komplett zu machen. Aus der Region liefern Oskar Maria Graf und die ganz und gar nicht überflüssige Lena Christ deftige bayrische Schmankerl, und als Ödön von Horvath den „Ewigen Spießer“ vorführt, läuft Esther Kuhn zu Hochformen auf. 

Und so schließen sich mit dieser letzten die Kunstkammern wieder und bewahren all ihre von Gerd Holzheimer zusammengetragenen Schätze in ihrem Innern, bis eines Tages wieder einer kommt, der den Schlüssel hat oder doch wenigstens das Zauberwort kennt und sie ans Tageslicht holt - diese Welten im Würfel.

Galerie
Bilder der Veranstaltung
Mi, 24.02.2016 | © Werner Gruban