Dicht gedrängt steht das Publikum in Treppenhaus und Foyer. Ungeduldig tritt man von einem Fuß auf den anderen. „Hab’ ich so noch nicht so oft erlebt“, sagt eine Frau. Aber es passiert ja auch nicht jeden Tag, dass einer der erfolgreichsten und beliebtesten Gospelchöre Bayerns auftritt. Heute schon. Der Gospelchor Sankt Lukas bringt sein Weihnachtsprogramm mit und begeistert die Hörerinnen und Hörer mit umwerfender Musikalität, Verkündigungsfreude und Schwung.
Dass dieses Konzert wenig mit dem zu tun hat, was man sonst so an sonntäglichen Kirchenchor-Preziosen präsentiert bekommt, macht schon der Auftritt des Chors deutlich. Aus dem hinteren Teil des Saales schweben die Stimmen heran, leicht, ausgewogen, homogen, dabei mit der dem Münchner Ensemble eigenen Klarheit. Aus der Tiefe des Raumes umfängt das Publikum eine Welle des Gesangs – es wird nicht der einzige Moment des Abends bleiben, an dem das Publikum sich miteinbezogen fühlt. Die Hörer-Gemeinde soll für diese Augenblicke zur echten Gemeinschaft werden. Die stehenden Ovationen in ausverkauften Reihen werden am Ende zeigen, wie gut das gelungen ist.
Doch zunächst stellt Chorleiter Bastian Pusch einen Reisekoffer auf die Bühne. Das Requisit wird zum zentralen Symbol der Show, wird der Chor sich doch nicht nur auf Regionaltournee mit dem aktuellen Programm begeben, sondern auch im kommenden Jahr in Finnland auftreten. Allein, was mitnehmen? Die Frage zieht sich als roter Faden durchs Programm.
Die Antworten sind so vielfältig wie musikalisch plausibel. Mitgenommen wird etwa Gregory Porters mit sichtbarem Spaß gesungenes „Revival“, aber auch Gottvertrauen in Gestalt des 23. Psalms nach Bobby McFerrin – hinreißend schön und ein Beweis für das hohe sängerische Niveau des Gospelchors. Oder das mit hochenergetischer rhythmischer Prägnanz artikulierte Vaterunser auf Swahili: ein chorischer Wirbelsturm. Über sich hinaus wächst der Chor allerdings mit den Stücken, die Dirigent Bastian Pusch eigens komponiert hat, nach Texten eines poetisch begabten wie theologisch beschlagenen Chormitglieds, Deborah Bedford-Strohm. Rührend wirkt „Carry You“, das die Perspektive der Kreatur vor dem auf die Erde gekommenen Heiland einnimmt: Was kann der Esel beisteuern? – Den Menschensohn zu tragen, oder eben „just something simple“, wie es in den zart getupften Worten des Lieds heißt. Auf andere Weise überzeugend die Schlussnummer „Water Into Wine“, die sich in konsequenter Steigerung zur veritablen Hoch-Tempo-Nummer entwickelt, wobei Pusch das Feuer gerade so unter Kontrolle hält, auch dank der disziplinierten Vorbereitung des Chors.
Einen Klassiker des Repertoires verbindet der auch als Conférencier durch den Abend führende Chorleiter mit aktuellen globalen Entwicklungen. Ganz im Sinne des Gospel-Gesangs, der immer auch an politischen Fragen Anteil genommen hat, singt man das Friedenslied „Down By The Riverside“. Es sei „aktueller denn je“, so Pusch. Ohne Klavier klingt es durch den Saal, man vertraut auf die Kraft der vox humana, auch mit Unterstützung des aktivierten Publikums. Das ruhigere „Elohaï“ widmet der Chor den gestorbenen Kindern im Nahen Osten, singt umso inniger.
Wenn nach dem abrundenden „Thank You“ (Gregory Porter) der Applaus mit Händeklatschen und Fußgetrampel kommt, dauert es keine Sekunde, bis der ohnehin in jeder Hinsicht reaktionsschnelle Pusch das Mikrophon ergreift: „Voll nett! Mit Standing Ovations und allem.“ Passenderweise schließt man mit der Zugabe „Let There Be Peace on Earth“ sowie einer finalen vokalen Umarmung des Publikums, wenn der Chor sich im Raum verteilt und ein letztes „Thank you, lord“, anstimmt.
Das Publikum ist glücklich, erfüllt von einer Energie, die dazu reichen würde, einen Tannenbaum mit bloßen Händen auszureißen und mit Gedanken zu den größten Fragen. Mehr kann ein Konzert kaum leisten.