Ehrlich währt am längsten, heißt es. Nun heißt das aktuelle Programm, das Helmut Schleich am Mittwochabend im bosco vorstellte, zwar „Ehrlich“, und es besitzt auch eine gute Länge, doch heißt dies nicht, dass es langweilig gewesen wäre – im Gegenteil, ehrlich. Es währte, und da das Verb „währen“ eine etymologische Verwandtschaft sowohl mit dem Substantiv „Wahrheit“ als auch mit der „Währung“ aufweist, darf hier also von wahrer Münze gesprochen werden, mit welcher der Künstler zu handeln verstand.
Es war das bewährte Rollenkabarett, auf das sich Helmut Schleich nach wie vor versteht. Er wechselte die Rollen wie die Jacken oder den weißen Schal, schlüpfte in verschiedene Häute, mal in die von Maßkrugstemmer Freddy Hampertinger, mal in die des guten alten Gesangslehrers Heinrich von Horchen – der mit dem weißen Schal und dem Zylinder. Gleich zu Beginn aber setzte er ein klares Zeichen und spielte einen geständigen und vollkommen von seiner Schuld überzeugten Zuchthäusler, der für eine nicht gerade geringe Zahl von Morden zu Freiheitsentzug verurteilt worden war. Dabei hielt sich dieser landläufig auch als „Bestie von Doddlbach“ bekannt gewordene Durchschnittsmensch selber überhaupt nicht für kaltblütig oder gar grausam – schließlich hat er immer nur aus Wut über die Unzulänglichkeit der anderen geschossen. Neunzehn Mal. Mindestens. „Einen ehrlichen Einstieg in einen Abend mit dem Titel Ehrlich“, nennt Helmut Schleich seine Eröffnungsnummer. Ehrlich ist nicht selten schonungslos, und Ehrlichkeit hat immer mit Geständnissen zu tun.
Und so gesteht Freddy Hampertinger, dass er immer wieder auf Mails hereinfällt, die ihm beispielsweise in abenteuerlichem Deutsch zu einem Lottogewinn gratulieren. Der immer wieder über seine dritten Zähne stolpernde Heinrich von Horchen gesteht, dass er eine gewisse Bewunderung gegenüber der neuen griechischen Regierung nicht verhehlen kann – immerhin tue diese etwas ganz und gar Ungeheuerliches: sie versuche nach der Wahl umzusetzen, was sie vor der Wahl versprochen habe. „So etwas wäre in Deutschland natürlich undenkbar, darum sagt der Schäuble auch zu Recht: So läuft das nicht.“
Das virtuoseste, feuerwerksfurioseste Geständnis aber lässt Schleich seine Parade-Figur ablegen – Franz Josef Strauß. Wenn es denn schon um Ehrlichkeit gehe, mokiert dieser sich, dann müsse in diesem Programm auch endlich mal von der CSU geredet werden. Aber natürlich von seiner CSU und nicht von den neuen „weiß-blauen Polit-Schlümpfen“, die aus seinem Bayern einen „poststoiberschen Event- und Schnösel-Freistaat“ gemacht hätten. Er schimpft und lässt vom Leder, dieser Strauß, aber er ist der Ehrlichste von allen – noch ehrlicher in seinem ehrlichen Zorn als der sehr ehrliche Freddy, der von seinen Qualen auf einem geschenkten Kammerspiel-Platz in einer modernen Inszenierung von Tschechows „Kirschgarten“ berichtet.
Es war tatsächlich ein sehr ehrliches Programm, das Helmut Schleich den Gautingern präsentierte. Und manchem ließ die Ehrlichkeit vielleicht auch mal das Lachen im Halse stecken bleiben. Doch in all seinen Charakteren und zwischen den Rollen-Nummern auch mal als persönliche Ansage nahm Schleich seinen Titel beim Wort und ließ auf jedes kunstvoll dumm geschnittene Gesicht, jede witzige Grimasse einen verbalen Paukenschlag folgen, der es in sich hatte. So überzeugt Rollenkabarett: wenn sich hinter der Maske eine Wahrheit offenbart, die unbequem ist und kantig im Raum stehen bleibt; die aber trotzdem satirisch aufbereitet ist und damit mehr als eine reine Meinungsäußerung. Und das ist dann wahrhaft ehrlich.
SABINE ZAPLIN