Ein Gedankenspiel: Man steht an einem Bahngleis und sieht einen Zug vorbeifahren, der Zug fährt und fährt und fährt – an und für sich nichts allzu Spektakuläres. Doch plötzlich löst der Zug sich von den Gleisen und beginnt zu fliegen. Mit „Symmethree“ ist es so. Nicht jedes der Stücke des gefragten Jazz-Trios zieht vom ersten Moment an in seinen Bann. Doch jedes Stück enthält etwas Magisches, das sich im Laufe des Zuhörens entfaltet. Viele der langjährigen Fans der 2011 gegründeten Band wissen das und sind erwartungsgemäß begeistert von den neuen und alten Preziosen, die an diesem Abend zu hören sind.
Auch im einleitenden „Blues pour Amiens“, den Bandleader Henning Sieverts seinem Freund, dem Tubisten François Thuillier, widmet, lässt man sich Zeit mit der Einstimmung. Mit coolem Blues-Sound der drei bestens sich ergänzenden Instrumente umschmeichelt man die Zuhörerinnen und Zuhörer, bis sich Henning Sieverts’ Kontrabass immer weiter nach oben schraubt, dabei alle rhythmische Voraussehbarkeit über Bord werfend. Für die letzte Note greift er zum Bogen.
Es ist diese Kombination bestimmter Aspekte, die „Symmethree“ ihren unverwechselbaren Stil eingebracht hat: Eine Absage an das Erwartbare; eine durchdachte Dramaturgie der Stücke, die sich Zeit bei der Entfaltung lässt; eine Sorgfältigkeit in der Auswahl der Klangkombinationen, die mit den drei Instrumenten Bass/Cello, Posaune und Gitarre endlos sind. Und vor allem eine Lust an der intellektuellen Grundierung der Kompositionen etwa durch symmetrisch aufgebaute Themen. „Sie können sich einfach zurücklehnen und die Musik genießen. Aber in jedem Stück ist sowas drin“, sagt Sieverts.
Ganz offensichtlich ist das in dem Stück mit dem schönen Titel „New Tone Barn“ (Neu-Ton-Scheune) – ein Anagramm des Namens von Anton Webern, der dem Stück seine zündende Idee geliehen hat, eine zwölftönige musikalische Reihe in perfekter Spiegelsymmetrie. Ziemlich vertrackt das alles. „Aber keine Angst, es klingt sehr schön“, sagt Sieverts. Jedenfalls nach einer gewissen Zeit, in der rasant Grollendes zu hören ist. Bis Ronny Graupe die Finger über die Gitarre flitzen lässt, immer schneller und so funkelnde musikalische Strukturen erzeugt, aus denen sich Weiteres ergibt. Etwa gebrochene Gitarrenakkorde, zu denen Sieverts gestrichene Noten auf dem Kontrabass beisteuert und Nils Wogram eine betörende Posaunen-Melodie. In diesen traumhaften Episoden hebt der Zug ab.
Nicht jedes Stück indes bietet eine so komplexe Erzählung. Von geradezu schlichter, anrührender Schönheit etwa ist der „Blues for CHArliE HADEn“, in dem Sieverts die Buchstaben aus dem Namen des verehrten Jazz-Kontrabassisten in Noten verwandelt und in einen geradezu perfekten Blues, Musik für eine verwandte Seele. Bei alldem geht das Ensemble mit ungebrochener Neugier vor, ebenso beim „Salami Blues“ (erschienen auf der aktuellen CD „Blues!“), der ein bestimmtes Kompositions-Prinzip ausstellt: Wie bei einer Wurst schneidet man Stück für Stück des Materials ab, nur dass es hier am Ende wieder zusammengefügt wird.
Hier funktioniert das wunderbar, wie ein gutes Essen ist auch diese Musik in ihren besten Momenten ein sinnlicher Genuss, in ihren weniger eingängigen Momenten – die gibt es auch – zumindest gut gemacht, wie das eher meditative Stück „Aerea“. Am stärksten sind „Symmethree“ ohnehin, wenn sie, wie alle großen Künstler, Inspiration bei anderen suchen. So zum Beispiel, wenn Nils Wogram in der Tricky Sam Nanton-Hommage „Deep, Deep!“ zeigt, welche Bandbreite zwischen animalischem Gebrüll und sanftem Geflüster seiner Posaune innewohnt oder wenn die Band in einer Verneigung vor Bach („Triple B“) schillernde Klänge präsentiert.
Mit Bach, der John Coltrane die Hand reicht, endet das Programm und damit ein inspirierender, musikalisch vielfarbiger Abend, so anspruchsvoll wie beglückend.