Die erste Besucherin in der neuen Spielzeit ist ein kleines Mädchen, das am späten Nachmittag sehr energisch an der Tür rüttelt und dann ganz schnell zur Toilette flitzt. Den spektakulären Bildern an den Wänden widmet sie keinen einzigen Blick, die neuen Hygienevorschriften aber hat sie verinnerlicht. „Mach mir mal die Seife an“, fordert sie naseweis, reckt sich ganz weit auf Zehenspitzen, um das Waschbecken zu erreichen und wäscht sich sehr gründlich und sehr lange die Hände. Husch, ist sie wieder weg. Für alle anderen Besucher aber reichen saubere Hände nicht: Sie müssen in den Räumen des Bosco einen Mund-Nasen-Schutz tragen und brauchten auch für die Eröffnung der Fotoausstellung von Joachim Heinzelmann einen festen Sitzplatz.
Die Fotografien, die Joachim Heinzelmann im vergangenen Jahr auf einer Grönlandreise machte und jetzt im Treppenhaus und Foyer zeigt, verdienen eine Betrachtung in der Stille. Mehr als die Dokumentation einer Reiseroute sind sie eindrucksvolle Stimmungsbilder aus einer überwältigend großen und überwältigend stillen Landschaft. „Mich fasziniert pure Natur, menschenleer“, sagt der Gautinger Weinhändler Joachim Heinzelmann, der in seiner Freizeit am liebsten fernab der Zivilisation unterwegs ist – vor 24 Jahren schon einmal in Grönland, immer wieder auch in Norwegen und sehr oft in den Osttiroler Alpen.
Im Jahr 1996 bereiste er mit seiner Frau Sabine mit Schlafsack und Zelt zum ersten Mal Westgrönland. Die dort gesammelten Eindrücke verblassten auch über die Jahre nicht, sodass sie sich im Juni 2019 – in jenem weit weit zurückliegenden Sommer, als man noch ganz unbeschwert reisen konnte – erneut auf den Weg machten. Diesmal gingen sie zunächst in Ostgrönland auf eine sechstägige Tour, bevor sie im Westen auf den Routen der früheren Reise wanderten und ihr Zelt noch einmal an der Südseite des Kangia-Eisfjords aufzustellen. Sie sahen Neues und Überraschendes, und sie sahen auch: „Das Eis wird definitiv weniger.“ Heinzelmann beobachtete, dass die Eismassen sich schneller bewegen, einmal konnte er mit der Kamera sogar einen kleinen „Tsunami“ festhalten, der durch die Bewegung eines Eisbergs ausgelöst wurde.
Die Faszination der Mitternachtssonne war ein Grund dafür, noch einmal in den Norden zu reisen. Die Bilder von der geheimnisvoll durchleuchteten Eislandschaft gehören denn auch zu den wirkmächtigsten in dieser Ausstellung. Für das Ehepaar Heinzelmann war auch die Begegnung mit einem Moschusochsen, der morgens vor dem Zelt stand und dann einen ganzen Tag lang ihr Begleiter war, einer der Höhepunkte der Reise. Sie sahen Eisformationen, die sich zu gewaltigen Staumauern auftürmen, wie Seeungeheuer aus dem Wasser herausragen, in verschiedenen Farben schimmern oder riesenhafte Tore über dem dunkel-tiefgründigen Wasser bilden. Und sie sahen auch die berühmte Quarzwüste von Salliaruseq mit dem dunkelroten Strand und den ockergelben, scheinbar glühenden Bergen.
Vielleicht stellen aber gerade die Begegnungen mit Tieren in der Einsamkeit die besondere Atmosphäre der Reise dar: „Wenn man dort wandert, dann war vorher noch niemand da, der die Tiere verscheucht hat“, sagt Heinzelmann. So sahen die beiden nicht nur den neugierigen Moschusochsen, sondern auch verschiedene Vögel, einen Polarhasen und einen Fuchs. Und einmal sogar vom Ufer aus einen auftauchenden Buckelwal. Am Hochzeitstag fotografierte Heinzelmann für seine Frau ein arktisches Weideröschen, die Nationalblume Grönlands. Und vielleicht ist auch das Gewehr, das die Heinzelmanns auf den dringlichen Ratschlag der Einheimischen zur Abwehr von Eisbären mit auf eine mehrtägige Tour nahmen und das sozusagen beiläufig neben dem Zelt an einem Stein lehnt, das eindringlichste Zeugnis dafür, wie einsam und menschenleer Grönland ist.