Was für ein schöner, weiter musikalischer Bogen von der Musik an der Schwelle des 16. und 17. Jahrhunderts über Vivaldi und Beethoven bis zu Iris ter Schiphorst „Sei gutes Muts“, 2021 für das Kuss-Quartett und Maurice Steger komponiert!
Den Abend eröffneten kleine feine, sehr alte Stücke: mal melancholisch, mal sehr munter tänzerisch, mal für Streichquartett, mal nur für Flöte oder für alle fünf zusammen! Von den vier Komponisten war den meisten wohl John Dowland (um 1563-1626) mit „If my complaints could passion move“ am ehesten bekannt, während seine Zeitgenossen und großteils Landsmänner John Adson (1587-1640), Giovanni Coprario (um 1575-1626) und Jacob van Eyck (1590-1657) den wenigsten Musikliebhabern ein Begriff sein dürften. Umso schöner, etwa van Eycks „Engels Nachtegaeltje“ aus „Der Fluyten Lust-hof“ zu hören, ein wunderbar lautmalerisches Flötensolo, das Maurice Steger mitten im Raum als veritables Vogelgezwitscher präsentierte. Auch Coprarios Stück aus „Gray’s Sinn“ und die instrumentale Version eines Lieds von ihm als Zugabe noch vor der Pause, verströmte einen berückenden Hauch Melancholie in Klängen wie aus einer anderen Welt.
Nicht minder aufregend spielte Steger das späte Antonio Vivaldis spätes Concerto RV 375, ursprünglich als Violinkonzert komponiert, in einer Bearbeitung für vier solistische Streicher und Blockflöte. Die muss oft virtuose und teils aberwitzige Volten schlagen, was Maurice Steger aber in keiner einzigen Phrase irgendwelche Probleme bereitete, im Gegenteil: Mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad schien sich seine Betriebstemperatur und seine Spiellust entsprechend zu steigern.
Dazwischen gab es den kompletten Kontrast und einen gewaltigen Sprung vom Barock ins Heute: Iris ter Schiphorsts „Sei gutes Muts für Blockflöte und Streichquartett“ hatten Steger, Jana Kuss, Oliver Wille, William Coleman und Mikayel Hakhnazaryan bei den „Sommerlichen Tagen Hitzacker“ 2021 erstmals aufgeführt. Ein Jahr später produzierten sie mit diesem 11-minütigen Stück ein großartiges Musikvideo, das auf Youtube und der Website des Flötisten frei zugänglich ist (www.maurice-steger.com/seit-gutes-muts/).
Im Film trennt und verschmilzt Magdalena Zieba-Schwind optisch die Ebenen, lässt durch Wassertropfen schauen oder„verwässert" das Bild: hier das Streichquartett, das mal Text skandiert, mal mehr oder minder versprengte oder intensiv sich verhakende Klänge beisteuert; dort die oft geräuschhaften, spitzen Klänge der Blockflöte, die kaum je einen richtigen Ton spielen darf. Über Kopfhörer dringt die Musik sehr räumlich und direkt in Ohren, Herz und Seele. Mal hört man Wortfetzen aus „Der Tod und das Mädchen“ von Matthias Claudius („Bin Freund, und komme nicht, zu strafen. Sey gutes Muths, ich bin nicht wild, sollst sanft in meinen Armen schlafen!“), dann ganz konkrete Sätze, die auf eine Vergewaltigung hindeuten, kulminierend im mehrfach skandierten, reichlich absurden „Und der liebe Gott hängt fest im Dominantseptakkord“ sowie ganz am Schluss dem einsamen, finalen „Sey gutes Muths“, die nun der Flötist spricht. Live im Konzert traf dieses Stück den Zuhörer unvermittelt, vom Text war wenig zu verstehen und die Magie, die Musik und Film entwickeln, mochte sich nicht so recht einstellen.
Nach der Pause folgte das zweite der Rasumowsky-Quartette Ludwig van Beethovens, also op. 59/2 in e-Moll, mit seinem ungestümen, rhythmisch enorm pointierten Scherzo, dem im Maggiore-Teil das russische Volklied „Sláva Bogu na nebe" (Preis sei Gott im Himmel) zugrunde liegt, und dem vital wild dahinjagenden Presto-Finale. Beide Sätze hatten beim Kuss-Quartett eine große, intensive Dringlichkeit und waren ebenso prägnant wie präzise musiziert. Leider gilt das für die beiden vorangegangenen Teile, Kopfsatz und das Molto Adagio, nicht im vollen Umfang. Schwer zu sagen, woran das lag, aber mit den ersten Tönen des Scherzo war plötzlich eine Wachheit und Konzentration zu erleben, die zuvor immer mal wieder fehlte und etwa den langsamen Satz beinahe in Einzelteile zerfallen ließ.