Eigentlich ist man sprachlos nach so einem Konzert und kann die Gedanken wie das Staunen kaum ordnen: Denn wie soll man diese Vollendung, diese frühe Reife und feine Schönheit, aber auch das zugleich aufregend Unmittelbare, ja Spontane beschreiben, mit dem das erst 2019 gegründete Leonkoro Quartett im Bosco das g-moll-Quartett des 18-jährigen Schubert, Janáčeks erstes Quartett und Beethovens op. 59/1 musizierte. Acht Stunden Anreise mit dem Zug von Bern hatten sie hinter sich, aber nicht eine Sekunde Müdigkeit spürte man. Stattdessen herrschte eine Wachheit in jeder Phrase, jedem Akkord und jedem Ton bei stets lupenreiner Intonation, dass man nur atemlos staunen konnte.
Sicher ist das bereits neunte Quartett des blutjungen Franz Schubert aus dem Jahr 1815 noch kein reifes Meisterwerk. Aber wie geschickt greift er Vorbilder auf; wie viel seines ureigenen Stils ist da nicht nur zu erahnen, sondern ganz konkret zu hören. Aber das muss man auch so vielgestaltig beziehungsreich spielen wie hier das Leonkoro Quartett. Was für eine Gesanglichkeit verströmte das Andantino, wie präsent und doch immer schlank, herb-süß, ja zart modellierte die erste Geige (Jonathan Schwarz) ihre Variationen, oft im Dialog mit dem Cello (Lukas Schwarz). Gut vorstellbar, dass die beiden Brüder auch im Leben so empathisch zugewandt miteinander umgehen. Aber auch die beiden Frauen, Amelie Wallner (zweite Geige) und Mayu Konoe (Bratsche) sind zugleich eigenständige musikalische Persönlichkeiten, die, wenn sie als Hauptstimme hervortreten, wunderbare Präsenz und Ausdruckskraft besitzen, aber auch bewundernswert harmonisch in den Quartettklang zurücktreten können, dabei nicht nur perfekt eingebunden sind, sondern aus dem Hintergrund das Quartett zum Leuchten bringen. Jeder Moment ist minutiös geprobt, jede Phrase sitzt, jeder Akkord schimmert und schillert und immer scheint das Leonkoro Quartett vielschichtig zu erzählen.
Das wird vollends beim ersten Streichquartett von Leoš Janáček zum Ereignis. Dabei spielt es keine Rolle, wie viel enthalten sein mag vom bitteren, tödlichen Eifersuchtsdrama in Leo Tolstois Erzählung „Kreutzersonate“, die dem Quartett seinen Namen gab. Wie warme melodische Wendungen vom eisklirrenden Spiel am Steg konterkariert werden, was sich alles an unterschiedlichen musikalischen Gesten auf engstem Raum abspielt, wie da vier Musiker mit- und gegeneinander agieren, das lässt Dinge hören, die man an diesem Quartett, das man sehr gut zu kennen glaubte, noch nie wahrgenommen hat. Janáčeks charakteristische, den „Sprachmelodien“ des Tschechischen abgelauschten Motive besitzen ein Beredtheit, die fast schon unheimlich scheint. Höhe- und Schlusspunkt ist die noch einmal aufflammende kollektive Leidenschaft ganz am Ende. Doch die fällt von ganz oben nach tief unten in sich zusammen und erlischt plötzlich wie ein Leben durch Mord, den Tolstoi schildert.
Nach der Pause folgt das erstes der Quartette Opus 59, die Ludwig van Beethoven Andrei Rasumowski, russischer Diplomat in Wien, gewidmet hat und die dessen Namen tragen. Wie bestechend hier musikalische Analyse zugleich mit dem Musizieren stattfindet, wie klug Motive und Themen modelliert werden, wie man hörend musikalische Form verstehen kann, sei es beim Sonatensatz des ersten oder dem komplexen, fünfteiligen Scherzo des zweiten Satzes, das sich allen Eindeutigkeiten entzieht - das ist wahrlich große Kunst, eine Kunst, die von reifer Musikalität zeugt, aber auch von einem gemeinsamen Atmen, für dessen Erringen andere Quartette Jahrzehnte brauchen; hier sind sie das Ergebnis von gerade mal vier Jahren. Wunderbar gestaltet auch die große, tief und ausdrucksvoll atmende Lyrik rund um das traumhaft schöne Thema des langsamen Satzes, bevor unmittelbar ein ruheloses, herb und scharf geschnittenes Finale anschließt, dessen zugrundeliegendes russisches Volkslied sich freilich nie aussingen darf.
Großer Beifall und als Zugabe nach dieser Sternstunde eine kleine, feine „Fantasia“ von Henry Purcell.