Die Gegenwart schreit nach einem Kasper. Angesichts all dieser Großmäuler ringsum, die vor allem ihre Machtinteressen verfolgen, ohne Rücksicht auf Verluste, da sehnt man sich nach diesem herzensguten Tunichtgut, der mit seinem „Tri-tra-trullala“ gute Laune verbreitet und sich mit Witz aus jeder noch so ausweglosen Situation hinausschlawinert. Und so sind an diesem Abend im bosco auch alle Erwachsenen, die sich da im Saal zusammengefunden haben, mehr als bereit für die Frage „Seid ihr alle da?“ und vor allem für jeden Schabernack.
Aber weh: als erstes zeigt sich der Tod, schwindsüchtig und schweratmig, und will das Textbuch nach seinem Gutdünken verändern. Ihm zur Seite gesellt sich schon bald der Teufel, der ebenfalls dunkle Absichten hat und sich des Kaspers Seele unter den Nagel reißen will. Und da nun eben dieser Kasper - den Zeitumständen gemäß vollkommen zu Recht - sich gerade in einem traurigen Zustand befindet und seine ihm sonst eigene Zuversicht verloren zu haben scheint, haben die beiden Agenten des Bösen leichtes Spiel. Rasch ist das Textbuch geändert, Kaspers Schicksal besiegelt, und wäre da nicht am Ende Kaspers wacher Geist zurückgekehrt - wer weiß, wie das Spiel ausgegangen wäre.
Lutz Großmann arbeitet mit den klassischen Elementen des Kasperspiels und weckt auf diese Weise Kindheitserinnerungen bei seinen Zuschauerinnen und Zuschauern wach, die irgendwo tief unten in der Schatzkammer der ersten Theatererfahrungen verborgen liegen. Erst noch zögernd, dann mit sichtlichem und vor allem hörbaren Vergnügen lassen sich diese erwachsenen Menschen auf das klassische Spiel zwischen Guckkastenbühne und Saalreihen ein, antworten zunehmend frecher, kindlich mutiger auf die Fragen der Puppen und lassen sich auf den Dialog ein. Die Erziehung zum mündigen Publikum beginnt im Kasperltheater, und genau hier lernen wir, Gut von Böse zu unterscheiden und uns auf die Seite der ehrlichen Seelen zu schlagen. Auch, wenn die bösen Figuren durchaus unser Interesse und nicht selten unsere Bewunderung haben, so sind wir doch am Ende alle im „Team Kasper“. Und das ist richtig so. Denn wie rasch die bösen Mächte, hier in Gestalt von Tod und Teufel, sich miteinander verbünden, ihre Fäden spinnen und darin alle fangen, die ihren Interessen im Wege stehen, das war deutlich zu sehen in diesem Spiel. Beinahe wäre „Kasper tot. Schluss mit lustig“ gewesen. Doch das Fragezeichen am Ende dieses Titels steht zu recht da. Und Lutz Großmann ist mit diesem Puppenspiel ein scharfer Blick auf unsere Zeit gelungen.