Natürlich kommt der Kaffee nicht aus Österreich. Auch das Kaffeehaus ist keine Wiener Erfindung, als vielmehr aus Afrika und dem Orient stammend. Ein Armenier soll 1685 in Wien das erste Kaffeehaus gegründet haben. Dank Zuwanderung konnte also Wien um eine heute als immaterielles Kulturerbe von der UNESCO geschützte Institution reicher werden. Die Kaffeetradition fiel in der Wiener Mentalität und Gemütlichkeit allerdings auch auf einen überaus fruchtbaren Boden, aus dem etwas Neues, Eigenes emporwachsen sollte. Es entwickelte sich um dieses köstliche Getränk herum ein ganzer Kosmos gesellschaftlicher, sozialer und kultureller Verknüpfungen, die in Wien bis heute an Bedeutung und Reiz nichts verloren haben. Weiterhin sind die geradezu musealen Kaffeehäuser wie Central, Hawelka oder Sacher für jeden Wien-Besucher ein Muss und ein echter Hype. Was jedoch in Vergessenheit zu geraten droht, ist die Kaffeehausmusik, von der als eigene Gattung selbst Wikipedia nichts mehr gehört zu haben scheint.
Dass sich so renommierte Musiker wie die Akkordeonistin Maria Reiter, der erste Konzertmeister des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, Florian Sonnleitner, sowie der einstige Solocellist der Münchner Philharmoniker, Heinrich Klug, der Gattung in einem humorvoll-musizierfreudigen Programm angenommen haben, deutet schon darauf hin, dass es sich durchaus um eine anspruchsvolle Musik handelt. Weniger in technischer Hinsicht, auch wenn es dort an brillanten Passagen nicht fehlt, als vielmehr in der Gestaltung aus dem Bauchgefühl heraus. „Du hast Sorgen, sei es diese, sei es jene: Ins Kaffeehaus!“, zitierten die Musiker aus der Feder des Kaffeehausliteraten Peter Altenberg, dessen Abbild weiterhin im Wiener Café Central dessen Stammplatz okkupiert. Die Wiener Kaffeehausmusik ist die reinste Seelenmassage und mit dem Kaffeearoma eng verknüpft. Sie ist in alle Richtungen emotional und sinnenfreudig, damit ein Allheilmittel und ein buntes Vergnügen nicht nur für Kaffeeliebhaber.
Reiter, Sonnleitner und Klug verstanden es auch, diese besondere, mal sentimentale, mal melancholische, mal temperamentvolle Emotionalität aufzuspüren und mit einer gewissen nachlässig wirkenden Leichtigkeit in Atmosphäre zu verwandeln, was etwa in Moritz Moszkowskis Spanischem Tanz op. 12/3 mit der liedhaft mäandernden Melodik ausgesprochen erfrischend wirkte. Und eins hatten alle Werken im Programm gemeinsam: Leidenschaft, damit verbunden auch Lust am Leben und Genießen. Ob Andalusische Romanze von Adolf Lessle, die Tangos „Bordel 1900“ und „Café 1930“ von Astor Piazzolla oder Zigeunerische Klänge etwa im Ungarischen Tanz von Brahms oder in der Ungarischen Fantasie von Lehár, im Zigeuner-Reigen von Hugo Rust oder in Fritz Kreislers „Liebesleid“ und „Liebesfreud“: Immer ging es hier den Musikern um einen entspannten Spielwitz, um eine lustvolle Spielerei mit Klangfarben, Rhythmen und freier Tempomodellierung.
Das Trio mit dem lässig-leichten Schmiss im Duktus trat hier aber auch die Beweisführung an, dass Komponisten der E-Musik nicht weniger humorvoll waren als die unterhaltsameren Kollegen, wie Johann Strauß Sohn und Vater oder Cesar Cui. Beethovens Variationen über einen Kaffeehausbesuch standen dem ausdrucksstarken Kontrastprogramm seiner großen Variationswerke durchaus nahe. Eine bezaubernd nostalgische Breite deckte das Trio im 2. Tango aus Albéniz‘ „España“ auf, die aber auch andernorts durch die vordergründige Textur schimmerte. Mit kleinen Zitaten und Anekdoten zu der bisweilen schmissig und musikantisch geschmetterten Musik begeisterte das Trio das zahlreiche Publikum, das schließlich mit einem Heurigenlied mit Sonnleitner als Gesangssolisten für den langanhaltenden Applaus belohnt wurde.