Ein Streichtrio ist kein unvollständiges Quartett. Spätestens Beethoven hatte dies bereits erkannt, um seinem Opus 9, bestehend aus drei viersätzigen Streichtrios, ein klares, auf dieser Erkenntnis basierendes Gepräge zu verleihen. Aber was bedeutet das für die Interpreten? Das ist schwer zu beantworten. Es gibt wohl kein Rezept dafür, wie aus nur drei recht weit voneinander liegenden Stimmen ein substanzvoller Klangkörper wird. Jedes Ensemble muss für sich einen Weg finden, den weiten Tonraum lückenlos auszufüllen. Das Orion Streichtrio bzw. String Trio hat ihn schon früh gefunden. Ja, man kann wohl sagen, dass gerade auf dieser klaren Vorstellung einer kompletten Ensembleeinheit der große Erfolg des in der Schweiz angesiedelten Ensembles basiert.
Es ist eine sehr klare und transparente Einheit, in der immer noch jeder der drei Instrumentalisten einzeln und in seiner persönlichen Charakteristik wahrgenommen wird. Zugleich vermögen aber die temperamentvolle Südkoreanerin Soyoung Yoon (Violine), der agile Deutsche Veit Hertenstein (Viola) und der schlank singende Brite Benjamin Gregor-Smith (Violoncello) ihre Parts eben zu einem einzigen plastischen und klangdynamischen Ensemblekörper verschmelzen zu lassen. Es galt also, eine Balance zwischen der Stimme eines jeden einzelnen und der Homogenität als Klangkörper herzustellen. Das nahtlose Changieren zwischen diesen beiden Ausprägungen machte das Spiel des Trios eindringlich und vital, dabei aber auch sehr einfühlsam und subtil.
Bei Drořák in dessen Miniaturen offenbarte das Orion-Streichtrio das Prinzip überdeutlich. Die Stücke sind einfach und für Dilettanten gedacht. Doch die klangliche Schönheit, zudem im Capriccio die musikantische Urkraft gingen im Grundmaterial schon weit darüber hinaus, vor allem, was die Musikalität betrifft. In gewisser Weise kann man bei den Stücken von musikalischen Äußerungen in aphoristischer Kürze sprechen, bei der punktgenaue Interpretationen Grundvoraussetzung sind. Das galt auch für das überraschend leichtfüßige Intermezzo aus dem Jahr 1905 des Ungarn Zoltán Kodály, in dem der 23jährige Komponist Mendelssohnsche Formklarheit mit zigeunerischem Schwung zu vereinen vermochte. Das Vorbild für dieses Werk war die Serenade von Ernö (Ernst) von Dohnányi, deren Kopfsatz das Orion Streichtrio mit vergnügter Süffisanz in der Zugabe nachschickte.
Auch Schuberts Streichtriosatz, das B-Dur-Allegro D 471, hat keine übermäßig ausladende Form, dafür Mozartsche Vitalität. Da der etwa 17jährige Komponist das Streichtrio nicht vollendete, wird dieser Kopfsatz als ein eigenständiges Werk wahrgenommen. Und dass er für sich alleine bestehen kann, bewies das Orion Streichtrio mit besonderes spielfreudiger Verve sowie lustvoll geformten Motiven und Themen, ohne die gewohnte Präzision und den Klangreiz aus den Augen zu verlieren.
Das Streichtrio aus dem Jahr 1985, das bisweilen sarkastisch anmutende Ständchen zum 100. Geburtstag von Alban Berg aus der Feder von Alfred Schnittke war schon eine harte Bewehrungsprobe für die Einheit des Klangkörpers. Hier bewies das Orion Streichtrio seine Klasse sowohl in den Passagen spätromantischer Klangbildung wie wuchtig-dissonanten Polterns. Es war schon beeindruckend, zu welcher Substanzfülle sich das Trio aufbäumen konnte. Seine konzentrierte Ausdruckskraft machte das geradezu explosive Werk zu einem packenden Hörabenteuer. Im Prinzip hätte darin das Konzert kulminieren müssen, war diese Interpretation doch ein gewichtiger Höhepunkt im Programm. In Anbetracht seiner Modernität traute sich das Orion Streichtrio aber wohl nicht, Schnittkes Werk allzu sehr in den Fokus zu rücken. Aber schließlich ist auch Beethovens c-Moll-Streichtrio op. 9/3 keine harmlose Unterhaltung und konnte die Wucht Schnittkes dann doch überzeugend mit einem intensiven Streichtriosatz beantworten.
Beethoven wählte seine Schicksalstonart nicht ohne Konsequenzen für das Werk. Das galt nicht nur für die kraftvollen Rahmensätze. Gerade das Adagio mit seiner langsamen Entwicklung gewann daraus eine unterschwellige Dramatik, die immer wieder in den Vordergrund durchdrang. Das Scherzo, in dem das Orion Streichtrio die penetranten Sforzato-Schläge zu einem zuverlässig antreibenden Motor verwandelten, konnte mit seinem kontrastierend schönmusikalischen Trio eine überraschend stimmige Einheit ausbilden. Das rasante Wirbeln im Presto-Finale vermochte schließlich auch einen dramaturgisch wirkungsvollen Schlussakt herausbilden. Einen mitreißenden in Anbetracht der nachfolgenden Begeisterung des Publikums.