Ein Periskop besteht laut Definition „im Grundaufbau aus einem Rohr, an dessen beiden Öffnungen Spiegel und Prismen angeordnet sind. Diese lenken senkrecht zum Rohr laufenden Lichtstrahlen in das Rohr und parallelversetzt zur ursprüngliche Einfallsrichtung wieder hinaus.“ Wer sich nun den 2007 von Emiliano Vernizzi und Alessandro Sgobbio ursprünglich als Saxophon/Klavier-Duo gegründeten „Pericopes“ und den zur Dreierformation mit Schlagzeug weiterentwickelten „Pericopes + 1“ begrifflich anzunähern versucht, der erfährt vom Tenorsax-Virtuosen Vernizzi anlässlich des 2020 erschienenen Albums „UP“ Folgendes: „Ich wollte die Möglichkeit haben, auf eine andere Art und Weise mit Klavier und Schlagzeug zu interagieren, den Klang des Saxophons einzufangen und zu manipulieren. Ich habe mir deswegen ein analoges Pedalboard gebaut, das es mir erlaubt, nur wie ein Solist zu spielen“, so Vernizzi.
Beim wegen der Pandemie erst jetzt nachgeholten Auftritt im bosco durfte man diese technisch-solistische Übung immer wieder bestaunen: Der Meister beugte sich während der bis zu 20 Minuten langen Stücke immer wieder zu dem Pedalboard herab, um zu den beiden anderen Akteuren und ihren Instrumenten (Sgobbio am Keyboard und Piano, Ruben Bellavia an den Drums) neue, überraschende Klangbrücken zu erzeugen, über den reinen Saxophon-Part hinaus, der gleichwohl das Kernstück der Kompositionen bildet. Alessandro Sgobbio hatte zur „UP“-Veröffentlichung seinerzeit ergänzend erläutert: „Wir wollen neue Sounds hinzufügen. Jedoch ohne die typischen Einschränkungen von Laptops.“
Das Ergebnis derartiger „Horizonterweiterungen“ ist dann im Wortsinne elektrisierend. „UP“ sei ein einfaches Wort mit mehreren Bedeutungen, hieß es seinerzeit als Deutungshilfe des anspruchsvollen Projekts: „Hoffnung in einer Gesellschaft, in der die Menschen immer auf ihr Telefon herabblicken. Eine Erinnerung daran, unseren Kopf zu heben, unsere Perspektiven zu verbessern und positive Veränderungen zu schaffen.“ Eine – und hier kehren wir zur einleitenden Definition von „Periskop“ zurück – „nach vorne gerichtete, aufsteigende Richtung, die Künstler und Zivilisationen benötigen, um zu überleben.“ „Pericopes + 1“ wollen auf diese Inspirationen zurückgreifen, „um Geschichten, Melodien, Rhythmen und Elektronik mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verbinden.“
Ein ziemlich ehrgeiziger, theoretisierender Ansatz, wenn man so will. Denn entscheidend ist immer noch, was „rüber kommt“ an so einem Abend mit Publikum: Vernizzi, aus Parma stammend. umschreibt das alles auf Englisch mehrmals mit „a little bit crazy“, aber die Zuhörer lassen sich auch gerne ein auf diese elektronisch ergänzte, klanglich modulierte, zuweilen verfremdete Wundertüte, die mit „UP“ ausgebreitet wird. Man sei gerade in Linz aufgetreten und stehe am Anfang einer größeren Europa-Tournee, verrät Emiliano, wobei der Dritte im Bunde an den Drums diesmal nicht der Amerikaner Nick Wight ist, sondern Vernizzis Piemonteser Landsmann Ruben Bellavia. Der wiederum ist vor allem für explosive Eingriffe zuständig, wie sie der weit ausholende Piano/Sax-Duktus immer wieder an den stilistischen Bruchkanten erfordert. Doch jeder Instrumentenpart hat seine Alleinstellungsmerkmale, die sich nicht in einfachen Solo-Passagen erschöpfen: Alessandro Sgobbio schafft es sogar, auf Keyboard und Pianoforte gleichzeitig herumzuturnen, inklusive Griffen ins Saitengedärm. Spektakulär ist auch die Performance, die Vernizzi bei der Doppelnummer „Disco Gagarin“ und „The Earth´s Shape“ (zusammen über zwölf Minuten lang) hinlegt: Die verzweifelt-dringliche Emotionalität dieser modernen Suite zwingt Mann und Musikinstrument geradezu in die Knie, es sieht aus, als presse da jemand die Seele aus dem Blech. Zauberhaft der Moment, als das Saxophon, mit Vernizi aus dem Bühnendunkel wie aus dem Nichts "hervortretend", das zuvor einsam tremolierende Klavier Sgobbios „abholt“.
Die bei „UP“ gelegentlich zitierten, nur anders montierten musikalischen Vorlagen wie „Sultans of Swing“ von den „Dire Straits“ sind zwar kaum noch wiederzuerkennen, aber das macht nichts, denn „Pericopes + 1“ kreieren hier tatsächlich etwas Neues, das über das Vertraute hinausweisen möchte. Die Dialogformen zwischen den beteiligten Instrumenten erschöpfen sich eben nicht in absehbaren Harmonien, sie lassen das Individuelle gelten, eines ist das Korrektiv des anderen: Man geht in diesen Kompositionen gewisse Wegstrecken gemeinsam, aber diese experimentelle Musik nimmt auch jederzeit verblüffend neue Blickwinkel ein, bricht mit dem Gewohnten mitten im Stück – wir erinnern: „Lichtstrahlen (…), parallelversetzt zur ursprünglichen Einfallsrichtung wieder hinausgelenkt“.