Das dritte, ebenso konzise wie pausenlose Streichquartett von Béla Bartók aus dem Jahr 1927 und das allerletzte, fast einstündige viersätzige des gerade mal 29-jährigen Franz Schubert hundert Jahre zuvor: Schmerzvollere, sich immer wiederaufbäumende, den Versuch sich aus den Kämpfen des Lebens zu befreiende, eine Loslösung vergeblich wagende Musik gibt es wohl nicht. Wenn ein Ensemble wie das Quatuor Ébène diese beiden Werke aufs Programm setzt, darf man sicher sein, dass die Vier sehr weit in die Tiefe loten und dahin spüren, wo es nicht nur in der Seele, sondern auch im Körper wehtut. Und doch bereichert es den ganzen Menschen, wenn er hörend jede Phrase, jeden scharf geschnittenen Akkord, jede bis in den hintersten Winkel präzise gefasste Harmonie, jeden Versuch melodisch, harmonisch oder rhythmisch/metrisch auszubrechen mitdenkt und mitfühlt.
Auch wenn seit Bartók viele spannende zeitgenössische Streichquartette komponiert wurden, ist der Kosmos seiner sechs Quartette bin heute unerreicht. Allein der Anfang des dritten Quartetts mit seiner verstörenden Atonalität, seine später frei gehandhabte Zwölftönigkeit klingt erschreckend aktuell. Was folgt ist ein ungemein komplexes, freilich immer wieder wie fiebernd volksmusikalisch aufleuchtendes Werk, ein nächtlicher Alptraum, der einerseits klar konstruiert ist (zwei Teile werden abwechselnd verdichtend variiert und ergeben ein viersätzig durchkomponiertes Quartett), andererseits rhapsodisch sprunghaft immer wieder den Aggregatzustand wechselt. Dies in jedem Moment zwingend mit einem Höchstmaß an Deutlichkeit, Genauigkeit und Plastizität wiederzugeben, ist eine rare Kunst, die das Quatuor Ébène, diesmal mit dem wunderbar sich in das Quartett einfügenden Yuya Okamoto am Cello, in bewundernswert reichem Maße besitzt.
Der 29-jährige Japaner war es auch, der schon zu Beginn beim noch etwas spröden Haydn (op. 20/3 g-Moll) plötzlich im langsamen Satz dem arg unterkühlten Nonvibrato und einer seltsamen Nüchternheit des Musizierens feines Vibrieren im Klang und eine noble Artikulation entgegensetzte. Das war auch nach der Pause immer wieder zu spüren, wenn er bei Schubert traumverloren solistisch spielen durfte. Er tönte dabei so faszinierend sanft und doch enorm präsent, als wäre sein Spiel nicht von dieser Welt. Als würde jemand versuchen, Haftung auf der Erde wiederzuerlangen und sich doch mit jedem Schritt und jedem Ton von ihr zu entfernen.
Wie gut traf das den Grundton des G-Dur-Quartetts von Franz Schubert, das einerseits permanenten Kampf mit dem Leben und dem Schicksal bedeutet, andererseits immer mal wieder einen kurzen Blick in andere, wohl jenseitige Welten eröffnet oder die Erinnerung an selig imaginäre Momente unbeschwerten Kindseins beschwört, die Schubert wohl nie erlebt hat. Etwa am Ende des ersten Satzes, wo mit einem Mal sich ein Knoten zu lösen scheint. Nach aller vielfachen Stauchung und dem Versuch der Lösung, allen Akzenten, die den Fluss, das Sich Aussingen rüde einbremsten, nach aller Verdüsterung ging plötzlich ganz sanft die Sonne auf. Es war, als würde kurz vor dem Tod der Mensch plötzlich loslassen können und seinen Frieden finden. Auch das Trio des Scherzos deutete diesen Zustand an und der ganze, hier als Andante un poco moto gar nicht so langsame Satz.
Man kann dieses reiche, unter die Haut gehende letzte Schubert-Quartett sicher verbindlicher und wärmer spielen, weniger scharf geschnitten und radikal, aber nur die Haltung und das Spiel von Pierre Colombet, Gabriel LeMagadure, Marie Chilemme und Yuya Okamoto, der an der Münchner Musikhochschule studierte, kommt der Unerbittlichkeit und dem Schmerz dieser Musik so empfindlich nahe, wie sie das einzig verdient.