Das Konzert „Beauty is the Standard“ des Rick Hollander Quartet (feat. Brian Levy) im Gautinger Bosco ist ein gewisses Kuriosum. Es ist hinreißend – obgleich manches seltsam anmutet. Dabei drängen sich insbesondere zwei Fragen auf.
Frage 1: Kann der aus Detroit, Michigan, stammende Bandleader Rick Hollander singen oder nicht? Das Programm folgt einem klar definierten Bauplan: Es ist ausgerichtet an alten, wunderschönen Jazzstandards und melodischen Popklassikern. „Yesterday“, „Danny Boy“, eingängige Songs dieser Art. Und diese werden nun zumeist in Form einer stilistischen Dreiteilung präsentiert. Im ersten Teil steht Hollander vorne in der Bühnenmitte hinter dem Mikrophon und singt das Liedchen. Eins ist klar, die Begleitung, die er dabei von Gitarrist Paul Brändle (einem Kind Bayerisch-Schwabens) auf der stilecht verstärkten Halbakustikgitarre serviert bekommt, ist in ihrer akkordischen Anmut und ihrer improvisatorischer Agilität hinreißend. Aber singt Hollander diese Songs jetzt schön? Er kann klar artikulieren. Er fängt den lyrischen Charakter der Melodien gut ein. Manche tragenden Töne haben einen sicheren Stimmsitz, andere aber brechen ihm weg. Tragisch ist das nicht. Diese Gesangsteile sind in diesem Konzert nicht die Hauptstütze der Darbietung. Sie sind für jeden Song lediglich ein Prolog, umreißen gewissermaßen nur das musikalische Material für die nachfolgende Instrumentalverarbeitung. Insofern erfüllen die vokalen Eröffnungssequenzen in ihrer intimen und manchmal eben etwas morbiden Klanglichkeit ihren dramaturgischen Zweck gut.
Was sich pro Song jeweils anschließt – mit einigen Ausnahmen – ist der zweite Teil, der auch gleich zur Frage 2 führt: Kann Hollander gut Steel Drum spielen? Diese Frage ist noch schwieriger zu beantworten. Die eben gesungenen Melodien sind durchaus erkennbar, wenn Hollander sie anschließend, jetzt mit etwas gesteigerter Begleitung der gesamten Band, in karibischen Farben auf der Steel Drum nachmalt. Ob diese Stilistik grundsätzlich zu den Songs passt? Für Hollander offenbar schon, denn sonst würde er es ja bleiben lassen. Gelingt ihm die instrumental-melodische Umsetzung? Definitiv nicht ohne merkliche Eintrübung, die man je nach Laune als witzig-skurril oder als etwas missglückt empfinden kann.
Dass dieses Konzert dennoch wirklich wunderbar ist und fast bis 22.30 Uhr seine Energie aufrechterhält, das liegt an jenem Hauptteil, der bei jedem einzelnen Song dem Steel-Drum-Intermezzo nachfolgt: Hollander schlendert entspannt zu seinem Drumset, nimmt die Sticks (für Feinschmecker: traditional Grip!) – und setzt einen köstlich rumpelnden Swing in Gang, der elastisch gleitet und herrliche Finessen einschließt, kleine rhythmische Kuriositäten, Tempowechsel, stilistisch anderweitige Einsprengsel – und manchmal ausgedehnte Soli im klassischen Bigband-Drummer-Stil obendrein. Wie der aus Italien stammende Kontrabassist Giampaolo Laurentaci (wie die meisten Musiker des Quartetts musikalisch-akademisch hochdekoriert) auf all dies reagiert, ist ein Kunstwerk an unprätentiöser Klangfundamentarbeit. Abgesehen von wenigen solistischen Passagen beherrscht Laurentaci eher den musikalischen Hintergrund – der zugleich eben der unverzichtbare Untergrund ist.
An der Oberfläche, dort sitzen der kalifornische Saxophonist (auch in die Flötistenrolle schlüpfende) Dr. Brian Levy und Paul Brändle an der Sonne. Und wie sie das genießen: Obgleich Levy in allen Ausdrucksspektren einen erstaunlich scharfen Ton erzeugt, ist sein Spiel von beeindruckender Variabilität. Es ist melodisch klar, und Levys improvisatorische Stilmittel sind vom Skalenspiel bis hin zum rhythmisch prägnanten, aber in der Intonation stets beherrschten Überblasen des Instruments ungemein vielseitig. Besonders aber begeistert Brändle. Sein Fundus steht dem von Levy in nichts nach. Dazu aber hat sein Gitarrenspiel eine stets elegante Geschmeidigkeit, die jedes Solo, jeden Begleitakkord, jede mit dem Saxophon in Zwiesprache vereinte Linie und jedes en passant integrierte Lick zum Vergnügen macht.