Schon 2019 hatte der Kabarettist Robert Griess sein bis heute laufendes Programm „Apocalypso, Baby!“ getauft, als wäre er mit seherischen Gaben gesegnet. Er habe ja nicht wissen können, dass es von Jahr zu Jahr immer noch schlimmer werden würde, erzählt der Kölner - eine Pandemie, mehrere Lockdowns und einen Krieg später - seinem treuen bosco-Publikum – der Titel passt jedenfalls zur Weltlage wie Trainer Steffen Baumgart zum 1.FC. Auch Griess selber ist für die drastisch-witzige Beschreibung von Desastern aller Art wie geschaffen: Diesmal nahm er sich so lange ausführlich des Personals der letzten Politik-Dekade an, bis er unweigerlich bei Olaf Scholz landete, „dieser zarten Seele, gefangen im Körper eines bulgarischen Synchronschwimmers“. Man hatte als Griess-Fan schon drauf gewartet, dass das „oberste Ampelmännchen der Republik“ ordentlich rangenommen würde, und nach ein paar Umwegen über „Merkels Männerfriedhof“ und die Phalanx der „Verteidigungsministerininnen“, wie der Rheinländer es so schön extrem gendert, ist es dann auch so weit. Robert, der so gar nicht Griessgrämige, belässt es aber nicht beim witzigen Titulierungsdissen, er hat auch konstruktive Vorschläge für alle möglichen Politikfelder parat, etwa im Bereich des „Äußersten“: Die Taliban in Afghanistan („Windelaufmkopfträger“), so seine Theorie, hätten längst die Flucht angetreten, wenn man ihnen nur rechtzeitig „Mittelstandsmütter in Elternsprechstundenstärke“ entgegengesetzt hätte.
Griess mag vielleicht eher „linksgrünversifft“ orientiert sein, wie es das gegenüberliegende Lager bezeichnen würde, aber er hält zu allen Parteien und Weltanschauungen professionelle Läster-Distanz: Wenn er wieder mal zu seinem Schweinslederjacke mit Reißverschluss tragenden Ruhrpott-Proleten überwechselt, wird das besonders deutlich: „Da bin isch för de Revolte!“ lautet dessen Bilanz-Spruch, wenn er zum Beispiel den „Niveau-Limbo“ der verschiedenen TV-Sender beschreibt und all die „Mittelstandsweiber-komödien“, die ihm zum Hals raushängen. Im Ätz-Tonfall ist der im Grunde hoch intellektuelle und geschichtsbewusste Kölner am stärksten, und sogar die Gautinger bejubeln das immer aufs Neue. Auch Griess'sche Selbstgeißelungen über den Klüngel in seiner Heimatstadt sind stets willkommen: „Köln ist das Crystal Meth unter den Städten“ lautet so ein schöner Satz der Illusionslosigkeit. Und das bei Autofahrern berüchtigte „Leverkusener Kreuz“ muss sogar als Paradebeispiel für Sanierungsstau und die ganze marode Republik herhalten. Im Notfall wird bei Griess ja sogar die Rheinbrücke in 6-Quadratmeter-Parzellen aufgeteilt und für 990 Euro im Monat vermietet – Toilettenspülung gratis.
Da trifft es sich ganz prima, dass man die aktuelle Schlafmützigkeit der Deutschen durch den Kakao ziehen kann, wo doch „der Russe“ vor der Tür steht: „Wir können noch von Glück sagen, wenn der in Frankfurt/Oder die Maut für schwere Fahrzeuge zahlt, ehe er nach Holland durchrauscht“, schildert der Kabarettist die aussichtslose Lage. Oder so: Die Gorch Fock könne höchstens noch bei „Pirates of the Caribbean“ ein Schiff abgeben für solche, die nie zurückkehren werden. Um Griess nicht falsch zu verstehen - gleich zu Anfang hatte er laut darüber nachgedacht, warum immer nur Wehrertüchtigung und nicht auch das Nachdenken über Alternativen die Konflikte lösen soll? Bequem gewordene Alt-Grüne mit aufgeweichter Moral führt er in einer Dialog-Nummer Vater/Sohn vor, bei der es dem Sohn peinlich ist, dass ihn „Dad“ im Diesel-SUV zur „Fridays-for-future“-Demo kutschiert – darauf der Vater: „Das ist ein Volvo, 'ne Friedenstaube auf Rädern.“
Von wem also könnte noch Rettung kommen?, fragt der LInksrheinische – vom bloß konsumgeprägten Teil der Jungen wohl kaum, und von Yoga treibenden Verdrängern schon gar nicht. Griess kleidet seine durchscheinende Skepsis hin und wieder in kleine Songs. Er ist durch die gleichsam Berufsverbot für Künstler wie ihn bedeutende Pandemie ein Stück ernster geworden, so scheint es. Seine Bitterkeit ("Würde ist kein Konjuktiv!") kleidet er zwischendurch in zwei Sätze, für die er nach eigenen Angaben „lange geübt“ hat: „Von einem deutschen bzw. bayerischen Politiker erwarten, dass er ein Oktoberfest von einer Oper unterscheidet? Da könnte man auch in eine Geige pinkeln und darauf hoffen, dass Musik rauskommt!“ Das hatte der Koordinator der regelmäßig im bosco zu erlebenden „Schlachtschüssel“-Jahresrückblicke schon einmal so gesagt in Gauting. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt, kurz davor aber die Kultur, warnt Griess. Er hat wohl doch seherische Qualitäten. Applaus im bosco, trotz einiger verzeihlicher Längen. Die Lage ist apokalyptisch, aber weiterhin auch komisch, und das ist gut so.