Das wahre Leben ist nun mal so schmutzig wie manche Küchen – oder anders gesagt: Wer sich noch niemals des Nachts in einer schmutzigen Küche bei einem dieser niemals wirk-lich endenden Gespräche aufgehalten hat, der hat vermutlich nicht richtig gelebt! Die Sängerin Sarah Lesch hat allen nächtlich-schmutzigen Küchen nun mit einem zauberhaf-ten Lied ein Denkmal gesetzt. Und allen, die nicht dabei waren an diesem Bosco-Abend, an dem auch diese „Küchen der Nacht“ besungen wurden, sei es hiermit ins Poesiealbum geschrieben: Ihr habt etwas Wunderbares verpasst! Jene Neugierigen aber, die sich vielleicht unter der Bezeichnung „Chansonedde“ nicht so recht vorstellen konnten, wohin die musikalische Reise gehen würde, die aber trotzdem zu Sarah Lesch und Henry Schwegler gekommen waren, wurden mit magischen Momenten belohnt. Erst einen Tag zuvor hatte Sarah ihr via Crowdfunding finanziertes zweites Album „Von Musen und Matrosen“ heraus gebracht, und man merkte dem Live-Auftritt und jedem einzelnen Lied an, dass hier ein ganz besonderer Energieschub passiert sein muss: Sehr persönliche Texte mit literarischer Qualität sind da versammelt, Zeilen zwischen purer Lebensfreude und melancholischem Innehalten. Da singt eine gestandene Frau, die offenbar die Erfahrung der alleinerziehenden Mutter gemacht hat und doch ihre Mädchenträume niemals ganz bei-seite legen wird. Eine Frau, die Liebesgedichte von Brecht schätzt und selber eine starke lyrische Ader hat. Sarah Leschs Vortrag mit Gitarre atmet den Geist eines Hannes Wader, nur haben die Brechungen in ihren Liedern noch nicht das Resignativ-Abgeklärte des vermeintlich reifen Alters (und schon gar nicht die Bitterkeit des Altmännertums, das wäre ja noch schöner!) – sie sind vielmehr voller Aufbruchstimmung und Kraft, gerade wenn es mal wieder eine typische Lebenskrise zu besingen gilt. Gut, ja geradezu von musenkuss-mäßiger Bedeutung ist es, dass Sarah, die Tübingerin, in diesem Gefühlskosmos Henry Schwegler an ihrer Seite bzw. Saite hat: Der Augsburger mit der zweiten Gitarre ist so etwas wie der ruhende Pol des Ganzen, Leschs kongeniale Ergänzung – besonders schön zu erleben war dies beim Stück „Plejaden“, wenn erst Sarahs Stimm-Solo die Sterne vom Nacht-Himmel holt und Schwegler diesen Zauber in eine Instrumentalpassage münden lässt, während seine Partnerin nur noch still dasteht und lauscht – dazu leistete übrigens das sensibel gehandhabte Bühnenlicht einen wesentlichen Beitrag.
Sarah Leschs fast ausnahmslos selbst geschriebene Lieder strahlen große Wärme aus, oh-ne sich auch nur eine Sekunde nach „weiblicher Correctness“ anzuhören; sie können politisch klar Position beziehen, ohne plakativ oder gar wohlfeil zu sein. Sie handeln von realen Dingen und leibhaftigen Menschen, die durch die enorme Sprachkraft der Sängerin auch noch eine poetische Prise hinzu bekommen: Ahnungsvolle Abschiede, absehbares Scheitern („Matrose“), Kampfansagen, Aufbrüche zu neuen Ufern hat Sarah besungen, auch das Abbrechen von Brücken, den Sprung ins Ungewisse (Lesch hat vor knapp zwei Jahren die Laufbahn als Berufsmusikerin gewählt) und sogar mit dem gleichlautenden Songtitel ein „Testament“, das die Mutter ihrem Kind als Hoffnungspaket hinterlässt – spannender kann eine Sängerin ihres Alters kaum sein. Es steht zu hoffen, dass es sich bis zum nächsten Gastspiel im Bosco herumgesprochen hat, was es hier zu entdecken gilt.
Thomas Lochte