Endlich! Es hat nach der großen Zeit der Münchner Lach- und Schießgesellschaft ein paar Jahrzehnte gedauert, bis auch bayerisches Publikum wieder in den Genuss jener Form von Ensemble-Kabarett kommen durfte, wie sie Produzent Robert Griess unter der Überschrift „Schlachtplatte XI“ im bosco präsentierte: Der Kölner Griess war 2016 schon einmal als Solist in Gauting zu Gast („Ich glaub´, es hackt“) und hatte in der Stadt des Staus offenbar so gute Erfahrungen gemacht, dass er sich nun erneut südlich des Weißwurstäquators blicken ließ – gemeinsam mit drei anderen Kabarett-Kollegen, die sich im Laufe des Abends als Chin Meyer, Fred Ape und Guntmar Feuerstein entpuppten, ging es in Cowboy-Montur um die „Jahresendabrechnung 2017“, ein Programm, das die Vier anderntags auch im „Lustspielhaus“ als Matinee vorführen wollten. Warum also nicht vorher noch ein countrymäßiger Ausritt in die kulturelle Boomtown im Würmtal, um sich den Weg nach München frei zu schießen?
Es sollte tatsächlich ein einziger Triumph werden: Eine fulminante Mischung aus Solo-Nummern, Gruppenblödsinn, Musikzitaten und Politkabarett der guten alten Art, wie man sie eben seit den Tagen eines Sammy Drechsel (Regisseur und Co-Autor der „Lach- und Schieß“) nicht mehr erlebt hat – trotz Polt/Biermösl Blosn. „Schlachtplatte XI“ heißt das aktuelle Programm übrigens deshalb, weil sich die vier Herren schon seit elf Jahren immer wieder zusammen tun, um rund um den Jahreswechsel Bilanz zu ziehen und gemeinsam die Republik unsicher zu machen – dass sie sich in der ganzen Zeit noch nie bis nach Bayern vorgewagt haben, ist nichts Geringeres als eine furchtbare Unterlassungssünde. Seit Dieter Hildebrandt, Hans Jürgen Diedrich, Klaus Havenstein, Ursula Noack und Jürgen Scheller Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre messerscharfe Politsatire mit Typen-Kabarett und originellen Musik-Parodien zu einer einzigartigen Mischung verschmolzen, hat es so etwas wohl nicht mehr gegeben – besonders schön: Die vom aktuellen Toupet-Träger im Weißen Haus inspirierte America-First-Thematik erlaubt es dem Quartett, zu Johnny-Cash-Cover-Versionen, „High Chaparral“- und „Bonanza“-Motiven alles Mögliche aufs Korn zu nehmen, immer locker im Sattel mit Text und Musik balancierend. Fred Ape ist mit dem Namen „Der gegen den Strom schwimmt“ der einzige Indianer der Truppe, spielt zu Guntmar Feuersteins Banjo die Gitarre und besingt zusammen mit diesem Politikerkarrieren oder auch gelegentlich die Hoffnungen eines Vaters mit Töchtern im heiratsfähigen Alter - bezogen auf mögliche Schwiegersöhne geht der Refrain: „Hauptsache ist, dass es kein Banker ist...“
Ansonsten liefern alle Vier je nach Thema auch höchst originelle Neudeutungen bekannter Klassiker: Der aus Barcelona geflohene Separatisten-Führer Carlos Puigdemont intoniert z.B. „Don´t cry for me, Catalunya“, und zur Sinnkrise der EU kriegt man die „Hey Jude“-Zeile zu höen: „...make it better, better, better, better, Yeah!“ Eine Angela Merkel darf singen „Ein neuer Kredit bricht an“ (frei nach „Phantom der Oper“) und schließlich gar auf Ückermärkisch Edith Piaf zitieren: “Jö nö rögrätt riejäng!“ - herrlich. Während solche Nummern ausschließlich den Spaßfaktor bedienen (und den Akteuren selbst erkennbar großen Spaß bereiten), gibt es auch wirklich großartige Solo-Elemente: Robert Griess packt wie schon in seinen eigenen Programmen wieder den rheinländischen Proll aus, der „Reiche ärgern“ geht und gerne Elternabende in der Waldorf-Schule sprengt. Über SPD-Wahlplakate lästert dieser Typ im Duisburger Zuhälter-Outfit: „Hatte von der Ästhetik her eher was von Steckbriefen, nur die Belohnung war unklar“. So schön auf den Punkt gebracht hat noch keiner das Grunddilemma der aktuellen Sozialdemokratie. Zu viert wird dann auch noch in der „Arbeitsgruppe Yoga und Verkehr“ illustriert, warum die Grünen sich mit „total sauberer Brückentechnologie“ und Beschönigungen der Automobilhersteller à la „Blue Motion“ selber in die Tasche lügen. Nicht minder prägnant dürfte die AfD- Gauleiter-Sitzung sein: Einer schreit alle paar Augenblicke „Sieg Heil“, und die Anderen entgegnen bloß: „Jetzt noch nicht!“ Kein Wunder, dass Chin Meyer über den gefundenen Arier-Ausweis der verstorbenen Oma sinniert: „Vielleicht brauche ich den ja noch?“
Meyer war es dann aber auch, der mit seiner tollen Stimme und einer wirklich genialen Idee wieder für Auflockerung sorgte: Aus einigen Stichworten des Publikums zu Gauting (Hochhaus, Stau, Einbrüche) konstruierte er spontan und in Windeseile eine Art Gauting-Oper mit dramatischem Tenor-Gesang: Als er auch noch eine unter den Zuschauern sitzende Bankkauffrau und deren Laufbahn tremoliered in das ganze Knödel-Pathos einbaute, lagen die Leute geradezu unterm Tisch vor Lachen.
„Schlachtplatte XI“ ist ein großartiges Potpourri aus brillanten Soli, aus Duetten und „Gang“, eine geglückte Balance aus geschliffenen Texten, purem Blödsinn und entspannenden Cover-Nummern mit hohem Wiederkennungswert – all dies macht den Reiz dieser Cowboy-Truppe aus, die sich „die letzten Guten“ nennt und es sogar schafft, aus der Westernsong-Vorlage „Rollin´“ noch ein Lied gegen Sexismus zu drechseln: „Rohling, Rohling, Rohling...“ Endlich wieder mal was zum Schießen Komisches!