Nein, diese Leichtigkeit, diese Geschmeidigkeit, dieses lustvoll ausgelassene Musizieren hätte man Simply Quartet nach fast kühlem Mozart und eher streng-kantigem Bartók nicht zugetraut. Doch umso größer war die Überraschung und das Glück nach der Pause bei Antonín Dvořáks Quartett Nr. 14 As-Dur op. 105. Selten genug im Konzert zu hören, waren Danfeng Shen und Antonia Rankersberger (Violinen), Xiang Lyu (Bratsche) und der norwegische Cellist Ivan Valentin Hollup Roald hier punktgenau auf dem dritten Kontinent gelandet, den sie im Bosco bereisten, genauer gesagt: Sie waren mit dem Komponisten nach seinem langen Amerika-Aufenthalt wieder in dessen Heimat Böhmen angekommen. Und obwohl Dvořák das Quartett noch im März 1894 in den USA begonnen hatte, strömt aus vielen Melodien, die schon Johannes Brahms neidisch machten, und in wunderbaren Allusionen an Volksmusik das intensiv erlebte Gefühl, wieder „zuhause“ zu sein. Natürlich oblag es dem ersten Geiger, inspiriert die Führung zu übernehmen und das tat er mit einer Süße und Fülle des Tons, die er vorher immer mal wieder bewusst vermieden hatte. So konnte sich der langsame Satz herrlich aussingen, war das Finale überbordend vital. Und der Beifall ebenso!
Begonnen hatte das Konzert mit Wolfgang Amadé Mozarts C-Dur-Quartett KV 465 – einer Perle der klassischen Quartett-Kunst, die immer wieder ob ihrer Vollendung im Ganzen und angesichts des Reichtums im Detail verblüfft und beglückt. Schon die langsame Einleitung ist ein enigmatisches Mirakel, dem einer der umfangreichsten, ausgelassensten und reichsten Kopfsätze im ganzen Quartett-Œu¬v¬re Mozarts folgt. Primarius und Cellist sind wechselweise die Impulsgeber und Shen wie Hollup Rolad füllten diese Rollen perfekt aus. Das folgende Menuett klang beim Simply Quartet durchaus ruppig, das Trio voller Dramatik. Und dann der bestechende Schwung des Finales mit seinem über ganze 34 Takte sich spannenden Themas, das Allegro molto, hier manchmal fast Presto und oft polyphon in einem spannenden Sonatenhauptsatz durchgeführt wird.
Ganz anders Béla Bartóks sechstes und letztes Quartett, heute noch genauso modern wie 1939 und von einer existentiellen Wucht wie wenige Streichquartette. Schon der Beginn, eine verzweifelt delirierendes Solo der Bratsche, „mesto“ (traurig) zu spielen, signalisiert Bartóks Seelenzustand, der die sterbende Mutter und den Beginn des zweiten Weltkriegs vor Augen hatte und daher diesen Beginn abgewandelt und angereichert mit den anderen Stimmen auch den übrigen Sätzen voranstellt und gar das ganze trauerdurchwobende Finale daraus entwickelt. Erschütternd mitzuerleben, wie Bartók immer wieder Boden gewinnen will, etwa einen elaborierten Kopfsatz entwickelt; und doch brechen unvermittelt Emotionen herein oder beruhigt sich das Geschehen durch die Andeutung eines volksmusikalisch-ungarischen Idioms. Im zweiten Satz ereignet sich ein verkanteter Marsch, der plötzlich fast tänzerisch wird; der dritte, „Burletta“ (kleiner Scherz) überschrieben, erweist sich als verzweifelter, immer wieder anders gefärbter Versuch, unbeschwert zu wirken. Alle vier vom Simply Quartet ziehen an einem Strang, werden den plötzlichen Volten in Ausdruck und klanglicher Formung stets gerecht, beschönigen nichts. Danach setzt nur zögerlich Applaus ein, so betroffen ist auch das Publikum.
Am Ende gab’s als kleine, feine Zugabe das Scherzo aus Joseph Haydns op. 76/1: voller Verve in den Eckteilen und lustvoll Wienerisch im Trio. Nach Ungarn und Böhmen nun also wieder Wien, eigentlich alles Nachbarn und damals sogar noch Teile eines einzigen Reichs, der k.u.k. Monarchie; und klangs wie Musik von drei verschiedenen Kontinenten.