Meist zuckt man zusammen, wenn ein Künstler vor einem Konzert zum Mikro greift und erklärt, was er gleich spielen wird. Denn alles Gesagte bleibt meist hinter der Qualität und dem spezifischen Reiz des später Gehörten weit zurück. Nicht so bei Sophie Pacini. Was sie von sich gibt, hat Hand und Fuß, ist konkret nachvollziehbar, essentiell und wird charmant erzählt. Schade, dass einige im Publikum den von ihr erläuterten Zusammenhang verschiedener Stücke von Frédéric Chopin und Alexander Skrjabin mit Applaus unterbrachen. Aber das tat dem feinen Beziehungszauber von drei Werken in cis-Moll, die das Schillernde und Ambivalente dieser Tonart auf je eigene Weise beleuchten, keinen Abbruch.
Beginnend mit dem tief melancholischen Nocturne cis-Moll op. posthum des 17-Jährigen, das er einst in Warschau für seine Schwester komponierte, folgten das große Fantasie-Impromptu op. 66 und die schwermütig verhalten einsetzende Étude op. 25/7. Immer wieder war zu hören, wie sehr diese Musik in sich kreist, aus tiefer Schwermut nicht herausfinden will, selbst dann nicht, wenn Virtuosität vermeintliche Lebensbejahung signalisiert und doch manchmal etwas fast erzwungen Rauschhaftes hat, das oft unvermittelt abbricht und die Musik erneut in einen Abgrund schaut. Sophie Pacini horchte dieser Ambivalenz mit vielen Schattierungen nach und reizte die Kontraste aus bis sie an die Grenzen des Steinways kam.
Zartes Echo fand dieser erste Chopin-Block in den beiden Préludes op. 11 Nr. 4 in e-Moll und Nr. 5 in D-Dur von Alexander Skrjabin, ein halbes Jahrhundert nach Chopin komponiert und in Haltung und Ausdruck einerseits ähnlich, andererseits sehr verschiedenen. Zwei weitere, bekannte und beliebte große Moll-Werke Chopins folgten: die Ballade Nr. 1 g-moll op. 23 und das Scherzo Nr. 2 in b-moll op. 31. In der Ballade, die als verhangener Walzer beginnt, wird Trauer zum Trost, bevor auch hier schnelle Läufe und wildes Tastenspiel die Oberhand gewinnen und am Ende beide Welten noch einmal heftig aufeinander prallen. Im Scherzo hörte man bei allem Stolz, aller Schönheit und Gesanglichkeit dieser Musik ebenfalls immer den Kampf mit den eigenen Dämonen heraus. Sophie Pacini schenkte auch hier sich und uns nichts, wurde der Ekstase ebenso gerecht wie den zarten, lyrischen Passagen, etwa im Trio.
Nach der Pause folgten zwei ineinander übergehende wunderbare Consolations (Tröstungen) in E-Dur von Franz Liszt (S.171a) bevor mit seiner hochvirtuosen Klavier-Bearbeitung der Ouvertüre zu Wagners "Romantischer Oper" Tannhäuser der schwarze Panther, wie Pacini den Flügel nannte, endgültig losgelassen wurde. Wir schauen in die funkelnden Augen, erkennen sein dunkel leuchtendes Fell und seine geschmeidigen, schnellen Bewegungen, wenn Pacini nach dem berühmten Pilgerchor in die erotische Ekstase des Venusberg-Bacchanals eintaucht und am Ende beide Welten sich durchdringen und überlagern. Sähe man nicht, dass hier nur zwei Hände mit zehn Finger spielen, man glaubte es nicht, so viele Schichten, ausufernde Figurationen und klar umrissene Themen musste Pacini hier gleichzeitig nicht nur bewältigen, sondern zu Musik werden lassen. Doch derart präzise wie ausdrucksvoll und ohne Abstriche hörte man alles, was Wagner komponiert hat, dass man fast vergaß, dass hier kein großes Orchester spielt.
Noch einmal zarter Chopin in cis-Moll als Zugabe – und der Abend könnte von vorne beginnen.