Und jetzt also wieder einmal Stefan Fichert im Bosco. Aber diesmal nicht als Puppenspieler auf der Bühne und auch nicht wie in früheren Ausstellungen als Puppenbauer oder als Maler, sondern zum allerersten Mal als Fotograf. Unter dem Titel „Negativ – Positiv“ zeigt der Künstler, der zum Urgestein der Gautinger Kulturszene gehört, in einer Ausstellung im Treppenhaus und in der Bar Rosso, wie sich sein Heimatdorf verwandelt – und wie es sich verwandeln kann, wenn er es durch seine Kamera betrachtet.
Die Kunst fängt aber nicht erst bei den Bildern, sondern schon bei der Kamera an: Stefan Fichert hat sich eigens für diese Bildserie aus einem Umzugskarton, dessen kleine Lochblende mit einem schnöden Pappstreifen verschlossen wird, und einem alten hölzernen Stativ eine „Camera Obscura“ gebaut. Weil die zutiefst archaische Technik eine Belichtungszeit von mindestens drei Minuten erfordert, kamen als „Akteure“ seiner Bilder nur Immobilien infrage: die verwunschenen alten Villen in der Künstlerkolonie etwa und der ebenfalls in die Jahre gekommene Bahnhof oder das mittlerweile abgerissene Gebäude der Doschschule und der unten an der Straßenkreuzung neu erbaute „Baderhof“, dessen frech auskragender Monumentalerker ebenso für Aufregung sorgte wie die geplante Maximalverwertung des Schulgeländes. Auch sein eigenes Geburtshaus hat Fichert fotografiert: Im damals neu eingerichteten Entbindungsheim im „Haus Zeil“ an der Bergstaße kam er 1946 als zweites Kind auf die Welt.
Die Bildserie mit mehr oder weniger bekannten Motiven aus dem Gautinger Ortsbild ist dennoch alles andere als eine Fotodokumentation, sondern eine höchst subjektive Interpretation des Geschehens. Das Bildnegativ entsteht auf der Rückseite des verschlossenen Kartons. Das Gehäuse der Lochkamera nutzt Fichert zusätzlich als eine Art Bühne: Durch verschiedene Einbauten schafft er eine zweite Bildebene, eine Art Schattenspiel vor dem eigentlichen Motiv. Manchmal ist es ein kleiner Plastikdinosaurier, der plötzlich als riesenhaftes Gespenst durch Gautings Straßen geistert, manchmal schieben sich Bleistifte wie Speerspitzen ins Bild. Eine Folie mit Brandlöchern lässt Fassaden altern, eine andere lässt den Himmel über Gauting wie eine Glasscheibe zersplittern. Dann wieder wabern Nebelschwaden und Spinnweben durch die Gärten. Die Aufnahmen vom Mühlrad an der Würm oder von der Fußgängerunterführung an den Gleisen wirken wie surreale Traumwelten. In der Ausstellung wird jeweils das geisterhaft blasse und auf dem Kopf stehende Negativ mit dem entwickelten Bildpositiv präsentiert. Die ebenso geheimnisvollen wie dramatischen Bildinszenierungen kann man durchaus als philosophische Kommentare zu den rasanten Veränderungen lesen, die Gauting derzeit erfährt.
Bekannt ist Stefan Fichert nicht nur in Gauting vor allem als „Puppet Player“. Die kleine Theaterkompanie, die er zusammen mit seiner Frau Susanne Forster vor mehr als vierzig Jahren in London gründete, feierte mit nahezu allen ihren Produktionen Premiere auf der Bühne des Theaterforums. In der internationalen Theaterszene ist Fichert auch ein gefragter Puppenbauer. Eigentlich aber hat er Malerei studiert. In der Zeit, ihm das Theater lässt, arbeitet der vielseitige Künstler in thematisch und zeitlich begrenzten Zyklen. Auch die „Lochkamera-Phase“ ist jetzt erst einmal beendet. Man darf gespannt sein, was als nächstes kommt.