Die letzte Nachtkritik des Jahres ist zum Glück keine Steuererklärung, und es gilt auch nicht, „Außergewöhnliche Belastungen“ abzuschreiben (und abschreiben gilt gleich zweimal nicht). Trotzdem befindet sich die Nachtkritikerin in einer ähnlichen Situation wie Stefan Waghubinger, der seine Quittungen zu sortieren hat und mit diesen all das, was er im Laufe des Jahres an Soll und Haben unter seiner persönlichen Steuer-ID zu verbuchen hatte. Das Programm des Österreichers, mit dem sich bosco und Theaterforum in die Weihnachtsferien verabschieden, zählt nicht zu den lauten Knallern des sich neigenden Jahres. Auf der nach oben offenen Schenkelklopferskala hält es sich bescheiden zurück und will gar nicht mit Schrillem, Grellem punkten. Zieht man aber die stillen Töne und die leise Poesie in Betracht, so war es ein wahrlich würdiger Abschluss dieses an Lautem und an Kraftgemeiere nicht armen Jahres.
Die Steuererklärung bot den Rahmen: Stefan Waghubinger schlüpft in die Rolle eines frisch verlassenen Ehemanns, der vor den noch immer nicht ausgefüllten Vordrucken sitzt und außer dem – falsch erinnerten – Geburtsdatum der geflohenen Gattin nichts anzugeben weiß. Stattdessen gerät er ins Lamentieren – in ein sehr melancholisches, sehr österreichisches zumal, in das sich hier und da elegante Kritik am Zustand der Gegenwart mischt. Diese packt er in Bilder wie das des Erstbesteigers eines Achttausenders, der aus Gründen der Bequemlichkeit einen Sherpa mit den Koffern zum Gipfel vorausschickt. Oder in das des Kaffeetrinkers, der denselben in einen Styroporbecher füllen lässt und ihm einen Plastikhut verpasst („Früher hatte der Kaffeehausbesucher den Hut auf dem Kopf, heute sitzt der Hut auf dem Coffee to go“). Und ganz wehmütig sehnt Waghubinger sich danach, mal wieder mit den Freunden einen Kaffee zu trinken, „dem man in die Augen schauen kann“. Es gibt noch so ein paar Sätze von diesem Kabarettisten, die man am liebsten in Stein meißeln möchte. Zum Beispiel, dass political correctness bedeutet, „dass man seine Meinung nicht falsch aussprechen darf“. Oder dass er gar nicht unbedingt jede Mauer gern fallen sieht, denn „in einem Haus ohne Mauern fällt mir die Decke auf den Kopf“. Das ist weder spontanapplaustauglich noch lachsalveneinladend, aber poetisch ist es allemal.
Überhaupt ist Stefan Waghubinger mehr Poet denn Kabarettist. Mit Sprache kann er ausgezeichnet umgehen, und besonders der zweite Teil seines Programms stellt dies unter Beweis. Hier nimmt der Abend auch mehr Fahrt auf und gerät mit dem Ausreizen des zweiten roten Fadens, des Themas „Strom“ endgültig in den Bereich des Absurden. Denn Strom ist, neben der Steuer, das zweite große Rätsel der Menschheit. Im großen Strom des Lebens geht vieles unter, vieles schwimmt aber auch oben, und wer gegen den Strom schwimmt, kommt vielleicht zur Quelle, bleibt vielleicht aber auch ebenso an der Staumauer hängen wie jene, die gleich mit der Strömung zum Meer strömen. Ohne Strom aber gäbe es kein heißes Wasser für den zur Steuererklärung so nötigen Kaffee. Doch wenn der Strom ganz ungesichert in den Menschen hineinfährt, steht dieser ohne Vorwarnung auf einmal dem Großen Steuerprüfer gegenüber, der die endgültige Bilanz verlangt. Da ist man dann ganz allein, und auch das beständige Grundrauschen, das einen begleitet wie der unvermeidliche Rollenkoffer, setzt aus, als stünde man auf dem Bahngleis kurz vor Abfahrt des Zuges, von dem keiner weiß, wohin er geht.
„Außergewöhnliche Belastungen“ sind die schrägen Momente im Leben, sind die besonderen Gepäckstücke, die einen auf Rollen verfolgen und dann doch zuverlässig da sind, wenn man frische Wäsche nötig hat oder einfach einen festen Halt in der Hand. Am Ende kommt es eben nicht auf die Werbungskosten an, die abzugsfähige Handwerkerleistung oder die Bewirtungskosten. Am Ende zählt das Zufluss-Abflussprinzip. Alles fließt, immerzu, wie das Wasser in der Donau. So ist auch ein Jahresende nur eine Zahl im Kalender, und die letzte Vorstellung ist immer auch schon die erste einer neuen Reihe.