Gibt es eine Grenze zwischen Meer und Himmel? Und wenn ja: warum kann man sie dann nicht sehen? Diese Frage stellt sich nicht nur der große und mächtige Sultan, sie beschäftigt auch seinen Diener mit dem seltsamen Namen Kotzbrocken - nur eben anders. Anders, vollkommen verschieden sind die beiden, die im Zentrum der Geschichte von Claudia Schreiber stehen, aus der Bernhard Jugel ein Live-Hörspiel für Kinder gemacht hat. Aus dem wiederum Schauspieler Stefan Wilkening, Maria Reiter am Akkordeon und Max Bauer als Geräusche-Produzent unter der Regie von Jugel ein orientalisches Märchen auf die Bühne zaubern, eine frechbunte Performance für junge und junggebliebene Zuschauer.
Nachdem im Saal das Licht erloschen ist und wie aus dem Nichts eine Zaubermusik erklingt, fliegt wie auf dem Zauberteppich ein Kerzenlicht durch den Saal, an dem ein Derwisch hängt. Und als sich der Vorhang öffnet und den Blick freigibt auf eine Szenerie wie aus Tausendundeiner Nacht, trägt eben dieser Derwisch das Licht auf die Bühne, nimmt Platz, und die Geschichte beginnt. Die Geschichte vom Sultan, der von Klein auf zum Nichtstun erzogen wurde und dies auch als großer Sultan mit Fleiss betreibt, unterbrochen nur von fortwährenden Hochzeiten. Jede Braut bringt ihm ein Kissen mit, und irgendwann sitzt der Sultan auf seinem Kissenberg so hoch oben, dass er von selber nicht mehr herunterkommt. Also wird ein Kran herbeigeschafft und zum Bedienen des Krans ein Diener eingestellt. Der kurbelt fortan den Sultan, wann immer dieser es wünscht, von seinem Kissenberg herunter oder hinauf, und weil er so ein Tollpatsch ist, kommt ihm immer wieder die Kurbel aus, so dass der Sultan stets unsanft auf seinem Allerwertesten landet und dies jedes Mal zuverlässig mit dem Ausruf kommentiert: „Du Kotzbrocken!“ Daher hat der Diener seinen Namen.
Nun mag Kotzbrocken zwar ein Tollpatsch sein, aber dafür besitzt er im Gegensatz zum Sultan einen großen Schatz an Alltagswissen. So weiß er, wie Gewürze schmecken oder dass man sich seine Haare bürsten muss, damit kein Vogelnest darin Platz findet. Oder dass man ab und zu eine Pause vom Arbeiten braucht und in Urlaub fahren sollte. All das kann der unwissende, untätige Sultan bei ihm lernen.
Und all das gestalten Stefan Wilkening, Maria Reiter und Max Bauer zu einem kurzweiligen Theaterstück, angereichert mit musikalischen Einfällen und burlesken Spielelementen. So treten beispielsweise die vielen so unterschiedlichen Frauen des Sultans in Form von Geräuschen auf, die mal Maria Reiter am Akkordeon als dicke oder dünne Damen herbeizaubert, mal Max Bauer mit entsprechenden Geräuschen als Große oder Kleine. Die Kurbel des Krans erklingt ebenso wie das Aufprallen des Sultans am Boden, und wenn Kotzbrocken vom Urlaub träumt, spielt Maria Reiter „Wochenend und Sonnenschein“.
Und Stefan Wilkening zieht alle Register - ganz, wie man es von ihm gewohnt ist. Mal ist er der blasierte und doch für Überraschungen gern zu habende Sultan, mal ist er der bodenständige, wendige kleine Kotzbrocken. Vor allem aber ist er ein Meister der Mimik: die Szene, in der der Sultan zum ersten Mal in seinem Leben eine Fingerspitze voll Chili probiert und dabei fast explodiert, ist beinahe abendfüllend und lachmuskelstrapazierend ohnehin.
„Sultan und Kotzbrocken“ ist ein bezauberndes Kindertheater, das mit viel Phantasie und warmem Humor davon erzählt, dass man zwar Unterschiede zwischen Menschen aufheben kann, dass aber Grenzen gewahrt werden müssen - zwischen Freunden ebenso wie zwischen Himmel und Meer. Denn niemand hat das Recht, einem Kleineren auf den Kopf zu spucken, nicht einmal aus Spaß.