„Keep on rockin´“, habe ich vor einem Dreivierteljahr geschrieben, an dieser Stelle, etwa um diese Uhrzeit, in meiner Nachtkritik damals zu Stephan Zinners Programm „Wilde Zeiten“. Und wie es sich für einen Musiker seines Formats gehört, hat er genau das getan. Hat es wieder getan. Seine Geschichten erzählt, die Gitarre bearbeitet, wilde Zeiten heraufbeschworen. Keep on rockin`. Er hatte Spaß, das Publikum hatte Spaß, und für die Dauer eines Kabarettabends ließen sie sich alle mit einem Fußtritt bändigen, mit Superkräften umeinanderwirbeln: die bei-gleich-Grün-Losfahrer und die Aszendentenkontrolleure, die Hundehomöopathen und die Latte-Macchiato-Münchner. Fast sympathisch schrullig wirkten diese, und nicht minder sympathisch schrullig wirkten die anderen, die beim Footlocker nach Turnschuhen fragen oder die Steine aus dem energetisch aufgeladenen Wasserkrug mit ausschenken. Ein Lied sind sie alle wert, eine Geschichte, zur Gitarre gedichtet, auf den Blues gebracht. Wilde Zeiten im bosco.
Stephan Zinner besitzt diesen ganz besonderen und so speziell oberbayrischen Charme, diese Mischung aus Bitterböse, scheinbar Stoffelig und Seidsmirnetbes, wie man sie nur hier - und zum Glück immer noch hier - findet, irgendwo zwischen Isar und Würm, zwischen Biergarten und Bioladen, zwischen Rosenmüller und Kroetz. Man hat das Gefühl, ihn schon lange zu kennen. Man glaubt, ihm auf dem letzten Elternabend begegnet zu sein oder am Bahnsteig beim Warten auf die S-Bahn. Man kennt auch die anderen, von denen er erzählt. Und natürlich sieht man diese aus seiner Perspektive, aus der Perspektive dessen, der einen Schritt zurücktritt und sich den ganzen Wahnsinn in Ruhe und beim langsamen Ausatmen ansieht, eine Halbe in der einen und eine Butterbreze in der anderen Hand (wahlweise auch ein anderes landestypisches Genussmittel). Mit dem Blues in den Knochen.
All das hat wunderbar auch beim zweiten Besuch des Programms funktioniert. Allerdings merkt man Zinner und seinem Auftritt auch an, dass er „Wilde Zeiten“ schon ziemlich oft gespielt hat. Die beim ersten Mal noch so nonchalant wirkende Schnoddrigkeit wirkte beim zweiten Anschauen und Anhören vor allem nuschelig, rasch dahingemurmelt, ein „Beiseit“-Sprechen ohne hörbaren Anspruch auf Verständlichkeit. Und wenn auch die - aus der eben erwähnten Perspektive des Relaxten - als so unentspannt-wild dargestellten Zeitgenossen durchaus nachvollziehbar unsympathisch sind, so hat die Teilung der Welt in Business und Biergarten (oder Alteingesessene und Zugereiste) etwas leicht Schwarzweißes - es fehlen die Grautöne. Vielleicht waren die aber einfach auch nur weggenuschelt.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Zinner ist immer noch Zinner, sein Blues ist immer noch cool und die Grundstimmung des Abends launig und satirisch-bissig. Es ist eben wie bei so vielem, was man sich ein zweites Mal gönnt: der Lack ist ab - oder zumindest hat er Kratzer.