„Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen“: Mit dem mittelalterlichen Liedtext von Martin Luther eröffnet Kulturjournalistin Sabine Zaplin dieses besondere Tee-Gespräch mit Palliativmedizinerin Carola Riedner und Koordinatorin Marion Jettenberger vom Ambulanten Hospizdienst Gauting. Obwohl es um die gern verdrängte „Kultur des Sterbens“ geht, ist die Bar rosso des bosco überfüllt.
„Für mich ist Sterben etwas Selbstverständliches“, bekennt die in Pöcking aufgewachsene Psychoonkologin und Palliativmedizinerin Carola Riedner. Zwar lebten ihre Eltern noch. Und ihr Vater werde demnächst 97 Jahre alt, sagt die Ehefrau des früheren Gautinger Pfarrers Günter Riedner. Doch das Begleiten Sterbender sei für sie stets ein Thema gewesen. Nach dem Abitur habe sie ein soziales Jahr absolviert – im Pflegeheim eines Nonnenklosters. Danach war für Carola Riedner klar: Medizinstudium mit Schwerpunkt „Palliativ“ (Schmerz). Ende der 1970er-Jahre war das „noch ungewöhnlich“, räumt die promovierte Ärztin ein.
Als ihr Mann seine Pfarrstelle in Gauting antrat, holte Sozialpädagogin Elizabeth d`Elsa die Palliativmedizinerin aus München 2005 ins Leitungsgremium, wirft Carola Riedner den Blick zurück: Aus dem von Pfarrer Gerhard Pfister aufgebauten Hospizhelferkreis wurde schließlich der Ambulante Hospizdienst Gauting (AHD).
Koordinatorin Marion Jettenberger ist im Dorf Unterammergau aufgewachsen: Für die Autorin war Sterben in der Familie deshalb ganz „normal.“ Als ihre Großmutter zu Hause auf dem Sterbebett lag, „waren wir Kinder dabei“, erzählt die 37Jährige. Die Oma habe einfach gesagt, „ich will nichts mehr essen und nicht mehr trinken.“
Später starb „meine Nichte“, so Marion Jettenberger: „Und meine Schwester hat sich gewünscht“, ihr totes Kind solle im offenen Sarg wie die Urgroßmutter beigesetzt werden. Doch „das war schwierig“, erinnert sich Autorin Marion Jettenberger.
Als Heilerziehungspflegefachkraft, habe sie auch viel „mit Älteren“ gearbeitet – und deren „große Not“ beim Sterben erlebt. Deshalb habe sie sich schließlich zur Palliativfachkraft ausbilden lassen: Seit einem Jahr ist Marion Jettenberger auch „Koordinatorin“ der momentan 55 geschulten Ehrenamtlichen des Ambulanten Hospizdienstes Gauting.
„Gemeinsam leben bis zuletzt“, stehe im Focus „unserer Arbeit“, betont Palliativ-Medizinerin Carola Riedner. Die Koordinatorin schaue sich erst die Situation des Schwerkranken an – und suche den/ die passenden Hospizhelfer/in danach aus. Oft benötigten die Angehörigen mehr Zuwendung. Durch Supervision, Fachvorträge und eine „gute fundierte Ausbildung“ mit 120 Stunden nebst Praktika, fänden die Ehrenamtlichen in Gauting eine „erfüllende Aufgabe.“ Oder auch den viel gefragten „Sinn des Lebens.“
„Das war richtig rührend“, erzählt Marion Jettenberger. Denn eine alte Dame, die selbst ausgebildete Sterbebegleiterin war, hatte in ihrer Patientenverfügung denselben Dienst für sich gewünscht. Doch eigentlich habe die Sterbende „mehr mich begleitet“, gesteht die 37jährige Koordinatorin.
„Die Hospizbewegung von unten trägt gerade in Gauting Früchte“, freut sich Psychoonkologin Carola Riedner. Durch Professor Gian Domenico Borasio, dem Gründer der Palliativ-Station am Münchner Universitätsklinikum Großhadern und dank der „Patientenverfügung“, wo jeder Mensch niederschreibt, was ihm am Ende seines Lebens „wichtig ist“, rücke der Tod aus der Tabuzone. Krebskranke tauchten auch schon in Spielfilmen auf.
Doch dass jeder Deutsche Krimis wie den Tatort samt Leichen „auf allen Kanälen“ allabendlich in sein Wohnzimmer lasse, „wird nicht wahrgenommen.“ Schließlich sei das kein naher Angehöriger. Aber jeder Mensch habe letztlich „Angst“ vor dem unbekannten Tod, sagt die Psychoonkologin. Denn Sterben „kann ich nicht üben.“
„Am wichtigsten“ sei es, über diese Angst zu sprechen, betont die erfahrene Palliativmedizinerin Carola Riedner. Das Gehirn entwickle daraus eine neue Vorstellung: „Was kommt danach?“ So schwinde die Angst.
Rituale helfen dabei: Buchautorin Marion Jettenberger hat einen kleinen Hebammenkoffer mitgebracht: Er stamme von einer Verstorbenen, die sie begleitet hat, sagt die Koordinatorin vom Ambulanten Hospizdienst Gauting. „Wir haben den gleichen Job“ – mit denselben Ritualen, habe ihr die Hebamme einst erklärt. Marion Jettenberger sprach`s - und zog ein Rosenölfläschchen aus dem kleinen Koffer. Am Anfang des Lebens werden mit dem Duftöl Neugeborene gewaschen. Auch einen kleinen Engel und ein weiches Holzkreuz als Handschmeichler vor dem „letzten Loslassen“ zauberte die Koordinatorin aus ihrem Köfferchen.
„Ja, was machen Sie, wenn Sie jemand anruft, Hilfe will – und sagt, lasst uns mit Eurem kirchlichen Gesülze in Ruhe?“, stellte Winfried Kössinger, Ehemann der Bürgermeisterin, eine Grundsatzfrage.
„Wir machen das genauso, wie es der Kranke wünscht“, betont Marion Jettenberger. Denn „wir haben auch nicht-kirchlich gebundene Begleiter.“ Vor Kurzem „hatten wir eine Demenzkranke, die nur gesungen hat.“ Der schickte sie eine Begleiterin, die ausschließlich „musikalisch“ unterstützt hat.
„Leben bis zuletzt: Das versuchen wir zu gestalten“, erklärt Carola Riedner mit den Worten ihres Kollegen Professor Sven Gottschling. Großer Applaus zum Finale.